Amerikanische Rennsportwagen 1957-1963
Die Geschichte der internationalen Sportwagen-Szene und insbesondere der Endurance-Weltmeisterschaften zeigt, dass das Engagement amerikanischer Hersteller oder Konstrukteure über die letzten 90 Jahre in Wellen verlief – Jahre der totalen Abstinenz wechselten sich mit Perioden sporadischer Einsätze oder solchen intensiver Renneinsätze ab. Die Jahre vor dem 2. Weltkrieg waren von unterschiedlichen Motorsport-Traditionen auf dem europäischen Festland (Italien, Frankreich, Deutschland), im Vereinigten Königreich und in Nordamerika gekennzeichnet, mit nur wenigen und seltenen Gemeinsamkeiten. Da waren die Länder Zentraleuropas mit ihrer langen Historie der Straßenrennen für Renn- und Sportwagen, die Britischen Inseln mit dem Brooklands-Rennoval, der Tourist Trophy und der typischen Vorliebe für Handicap-Rennen und schließlich die Vereinigten Staaten mit ihren kurzen Oval-Rennkursen und der Präferenz für spannende Rennen, weniger für technische Leckerbissen.
Einzig Le Mans übte auf amerikanische Hersteller mit Blick auf die europäischen Absatzmärkte hin und wieder eine gewisse Anziehungskraft aus. So waren die großen Tourer von Stutz und Chrysler Ende der 1920er Jahre ernsthafte Herausforderer für Bentley, scheiterten aber z.B. 1928 ganz knapp mit den Plätzen zwei (Stutz Black Hawk) und drei (Chrysler 72) am britischen Favoriten.
Nach dem Krieg näherten sich die Szenerien an: In Großbritannien und den USA wurden viele, z.T. stillgelegte Air Force-Flugplätze für den Motorsport geöffnet, mit Rennkursen, die nun etwas mehr den europäischen Vorbildern ähnelten, allerdings im Schnitt deutlich kürzer und kurvenreicher waren als etwa Monza, Spa oder Le Mans. So entstand in den Staaten eine neue Kategorie des Rennsports: Rundstreckenrennen, meist mit europäischen Sportwagen, die – begünstigt durch einen starken Dollar – von Söhnen reicher Eltern in Italien, England oder Deutschland (Porsche!) gekauft und importiert wurden. Es begann 1948 in Watkins Glen, und 1951 wurde daraus eine Sportwagen-Meisterschaft, organisiert vom SCCA (Sports Car Club of America). 1952 fand erstmals das 12-Stunden-Rennen von Sebring statt, das ab 1953 in den Kalender der Sportwagen-WM aufgenommen wurde und damit auch zum Rennprogramm für die europäischen Traditionsteams gehörte. Im Sportwagenbereich war damit eine wichtige Querverbindung über den Atlantik entstanden, während die Formelrennwagen-Szene weiterhin getrennt blieb.
In der Folge entwickelten sich diese Verbindungen sowohl bei den Piloten wie auch bei den Fahrzeugen weiter: Amerikaner kamen über den großen Teich und bereicherten die europäische Szene – Namen wie Phil Hill, Dan Gurney, Richie Ginther oder Carroll Shelby seien hier stellvertretend genannt. Im Gegenzug waren die Stars der europäischen Rennen bei ausgewählten amerikanischen Rennen zu Gast, insbesondere zum Jahresende, also nach der europäischen Rennsaison, z.B. in Riverside (Times Grand Prix), Laguna Seca oder bei der Nassau Speed Week auf den Bahamas.
Bei den Sportwagen trat Amerika auf zweierlei Weise auf der europäischen Bühne und speziell in Le Mans in Erscheinung: Erstens durch die Kombination europäischer Fahrzeuge mit großvolumigen amerikanischen Motoren und zweitens durch den Versuch des reichen US-Sportsmanns Briggs Cunningham (u.a. Gewinner des Americas Cups der Segler 1958), die 24 Stunden von Le Mans mit einer eigenen Konstruktion zu gewinnen. Anglo-amerikanische Zwitter waren z.B. der Nash-Healey (Fahrzeuge von Donald Healey, Motoren vom US-Hersteller Nash) oder der Allard-Cadillac (Fahrzeuge von Sydney Allard, angetrieben von Cadillac-Motoren), die 1950-1953 recht erfolgreich u.a. in Le Mans eingesetzt wurden. Die erfolgreichsten Cunningham waren der C4R und der C5R, mit denen man 1952 und 1953 einem Le Mans-Gesamtsieg recht nahe kam. Auf die Geschichte der Cunningham-Sportwagen soll später einmal in einem speziellen Bericht eingegangen werden.
1954 war diese Episode der Amerikaner in Le Mans allerdings beendet, die Europäer waren bei den Endurance-Klassikern wieder weitgehend unter sich. Anfang 1957 betrat dann der Autogigant General Motors (GM) völlig überraschend die Bühne mit einem echten Rennsportwagen und dem Ziel, klassische Endurance-Rennen wie Sebring oder Le Mans zu gewinnen. Nach einem kurzen Einsatz in Sebring verschwand das Projekt aber wieder in der Versenkung – was war geschehen?
(a) Die Korvette
1952 schuf man bei GM unter dem Codenamen „Project Opel“ ein für amerikanische Verhältnisse ungewöhnliches Fahrzeug, einen zweisitzigen Sportwagen mit Kunststoffkarosserie, vorgestellt im Januar 1953 unter dem Namen „Corvette“ (deutsch: Korvette, Bezeichnung für ein kleines Kriegsschiff). Produktion und Verkauf verliefen 1953/54 allerdings nur schleppend – die Corvette war den Amerikanern zu schwach motorisiert (gerade mal 100 PS) und zu unkomfortabel. Zora Arkus-Duntov, in Berlin geboren, Rennfahrer und Ingenieur, schuf 1954/1955 Abhilfe – er verwandelte die Corvette in einen „echten“ Sportwagen, mit V8-Motor und zunächst 200 PS, und er schuf mit ihrer Teilnahme an den Rennen des SCCA ein dazu passendes Image. 1956 hatte die noch recht seriennahe Renn-Corvette an die 270 PS und gewann mit Dick (sorry: Dr. Richard) Thompson ihre erste SCCA-Meisterschaft.
„Racing was the thing that actually saved the Corvette.“ (Carroll Shelby)
Im selben Jahr 1956 entwickelte Arkus-Duntov die „Corvette SS“, Nahziel Sebring 1957, Fernziel Le Mans 1957: Drei „Corvette C1“ waren tatsächlich für Le Mans gemeldet. Unter der attraktiven Magnesium-Hülle steckte echte Renntechnik, kombiniert mit dem 4,6 Liter-Corvette-V8-Motor: Gitterrohrrahmen wie beim 300SL, De Dion-Hinterachse, Benzin-Einspritzung, Alu-Zylinderkopf, innenliegende Trommelbremsen, Gewicht nur 850 kg, ca. 310 PS, Spitze über 270 km/h. Erster Renneinsatz war in Sebring 1957, durch einen verzögerten Zeitplan kam man allerdings nur mit einem unfertigen Testwagen („Mule“) und einem einzigen Einsatzfahrzeug, bei dem der Lack noch nicht trocken war. Beim Training erreichten die Superstars Fangio und Moss mit dem „Mule“ Zeiten, die denen der favorisierten Ferrari und Maserati schon recht nahe kamen. Beide Piloten waren allerdings bei Maserati unter Vertrag, die neue Corvette fuhren der Amerikaner John Fitch (gleichzeitig Teammanager) und Altmeister Piero Taruffi. Nach 23 Runden war die Jungfernfahrt allerdings aufgrund von Aufhängungsproblemen schon beendet – eine der üblichen Kinderkrankheiten einer Neukonstruktion. Aber es kam noch schlimmer: Im Juni 1957 entschied sich der US-Autohersteller-Verband gegen sämtliche künftigen Werksaktivitäten im Motorsport. Das Ende der Rennkarriere der neuen Corvette war also nach nicht einmal zwei Stunden Rennbetrieb besiegelt.
Zwei Jahre später tauchte allerdings bei den SCCA-Rennen ein Sportwagen auf, der auf Basis der Corvette SS von 1957 entstand – natürlich nicht als GM-Werkseinsatz, das war ja nicht erlaubt. Vielmehr wurde die Corvette SS für einen Dollar an Bill Mitchell (Design-Chef von GM) verkauft und von diesem „privat“ in die „Corvette Sting Ray Special“ umgewandelt. Wiederum mit Dick Thompson gewann die Spezial-Corvette 1959 und 1960 die SCCA-Meisterschaft und war stilistisch der Vorläufer der von Mitchell gezeichneten 1963er Serien-Corvette Sting Ray („Split Window“ Coupé).
Nicht die spärliche Renn-Agenda, sondern eher die attraktive Erscheinung der Corvette SS und ihre interessante Historie führten dazu, dass sie bereits mehrfach als 1:43-Modell produziert wurde: Angefangen mit einem Metallbausatz von Grand Prix Models (Classic Cars) aus der Gründerzeit des 1:43-Modellbaus (Ende 1970er Jahre), der zwar gemessen am Maßstab 1:43 etwas zu groß, ansonsten aber bereits recht gut gelungen war, sowie Anfang der 1990er Jahre mit einem schönen Resine-Bausatz von Provence Moulage (PM) im korrekten Maßstab 1:43, der gelegentlich noch im Internet (Ebay) angeboten wird. Vor knapp 10 Jahren (Stand 2012) kam dann sogar ein Diecast-Modell von AutoArt auf den Markt. Auch die Corvette Sting Ray Special von 1959/60 wurde von AutoArt produziert. Neben die Corvette SS kann man übrigens eine zweite Renn-Corvette in die Vitrine stellen, die „SR-2“, eine gegenüber der seriennahen Rennsport-Corvette modifizierte Version, die ebenfalls in Sebring 1957 eingesetzt wurde (Nr. 2, mit O´Shea und Lovely, Platz 16). Sie wurde früher als Metallbausatz von „Americana“ produziert, später ebenfalls von Provence Moulage.
Gute Lackier- und Modellbaufertigkeiten vorausgesetzt, lässt sich aus dem PM-Bausatz auch heute noch das beste Modell der Corvette SS herstellen, zumal man dabei eine Reihe von Details (Lenkrad, Gurte, Auspuff, Kennzeichenschild, Fahrerbelüftung usw.) nach sorgfältiger Bildrecherche selbst gestalten kann. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, sich an Originalfotos (oder Filmausschnitten) von Sebring 1957 zu orientieren und nicht an aktuellen Fotos des später aus dem Trainingswagen rekonstruierten Fahrzeugs, das heute noch existiert und hin und wieder bei Veranstaltungen zu sehen ist. Dieses aktuelle Fahrzeug unterscheidet sich in kleineren Details vom Original-Sebring-Fahrzeug. Und selbst dort, in Florida 1957, gab es kleine Unterschiede zwischen Ankunft, Training und Rennen.
Beim AutoArt-Diecast muss man die vorgegebenen Details weitgehend so akzeptieren wie sie modelliert wurden. Es scheint so, als wenn AutoArt sich am heute noch existierenden Fahrzeug orientiert hat. Generell ist das AutoArt Modell gelungen, es ist maßstabgerecht, die Lackierung ist sauber und korrekt, die Felgen sind exzellent und die Decals stimmen bis auf das hintere Kennzeichen: Es müsste aus vier Doppel-Nullen bestehen und nicht wie bei AutoArt aus „57SS“. Interessant ist, dass das 1:18-Modell von AutoArt in diesem Punkt korrekt ist, insofern ist der Fehler beim 1:43-Modell unverständlich.
Weitere Kritikpunkte: Das Lenkrad ist gemessen am heutigen Resincast-Maßstab etwas zu klobig geraten, außerdem müsste der Lenkradkranz schwarz (oder dunkelblau) sein und nicht hellbraun wie beim AutoArt-Modell. Das kann man natürlich korrigieren. Die komische Nachbildung der Sicherheitsgurte habe ich gleich entfernt, sie ist falsch und zudem Diecast-typisch viel zu grob. Die Corvette SS hatte 1957 in Sebring allenfalls Beckengurte (vermutlich in grau oder graublau), außerdem ist auf keinem der 1957er Fotos oder Filme, die man im Internet findet, ein angeschnallter Fahrer zu erkennen: Beim Rennstart – in Sebring nach Le Mans-Muster – war es damals nicht üblich sich anzuschnallen. Ich habe das Modell jedenfalls nachträglich mit Beckengurten ausgerüstet. Beim PM-Bausatz sind die geöffneten Gurte im Cockpit-/Sitz-Gussteil sehr schön modelliert, allerdings bezweifle ich, dass auch der Beifahrersitz mit Gurten ausgestattet war.
Beim Auspuff folgt das AutoArt-Modell dem aktuellen, rekonstruierten Fahrzeug, bei dem die seitlichen Auspuffrohre verkleidet sind (mit Lüftungsschlitzen). So fuhr man auch in Sebring 1957 beim Training, beim Rennen lagen die Auspuffrohre dagegen frei – so wie beim PM-Bausatz. Beim AutoArt-Modell fehlen auch die zusätzlichen Details der Cockpit-Belüftung, also der Schnorchel auf der Beifahrertür und der große Belüftungsschlauch im Cockpit, es entspricht also auch hier nicht der Version am Start des Rennens.
Ein anderes Problem beim AutoArt-Modell ist die Bodenfreiheit: Sie ist vorn deutlich geringer als hinten, das Modell ist also frontlastig. Das könnte mit der von AutoArt geschaffenen Beweglichkeit der Vorderräder zusammenhängen, die allerdings nicht besonders realistisch ist, denn die Räder verlassen beim Einschlag die mittige Position im Radausschnitt. Jedenfalls habe ich die Vorderräder demontiert und dann wieder so befestigt, dass die Neigung des Modells nach vorn beseitigt wurde – siehe Fotos.
Dass ich dem AutoArt-Modell trotz dieser kritischen Punkte noch ein befriedigendes Gesamturteil ausstelle, liegt u.a. daran, dass man es mittlerweile (2012) bei Ebay zu recht günstigen Preisen (um 20 Euro) ersteigern kann. Dafür ist es tatsächlich ein ordentliches Modell, und mit ein paar Modellbau-Handgriffen lassen sich einige der genannten Mängel leicht beheben.
(b) Der Pillendreher
Die zweite Geschichte berichtet (1) über den Sohn einer der reichsten Frauen Amerikas, dessen Biographie – ungewöhnlich bis bizarr – einer Hollywood-Soap alle Ehre machen würde, und (2) über einen von ihm realisierten Sportwagen in traditioneller Frontmotor-Bauweise, den er 1958 als Teamchef und Fahrer über eine einzige Saison in der SCCA-Meisterschaft einsetzte, dem aber der Schritt in die Sportwagen-WM versagt blieb. Die Rede ist von Lawrence Graf von Haugwitz-Hardenberg-Reventlow und dem Scarab Sportwagen, benannt nach dem heiligen Pillendreher-Käfer des alten Ägypten.
Lance Reventlow (LR, 1936-1972), so der geläufige Kurzname, war Sohn eines Grafen mit Wurzeln im dänisch-holsteinischen Hochadel und der Woolworth-Erbin Barbara Hutton. Geboren in London, vorübergehend Stiefsohn von Rennfahrer Prinz Igor Troubetzkoy (Sieger bei der Targa Florio 1948) und später von Hollywood-Star Cary Grant. LR gehörte zur wilden, reichen Nachkriegsgeneration junger Amerikaner, die sich mit ihren in Europa gekauften Sportwagen auf den neuen amerikanischen Rennkursen, insbesondere an der US-Westküste, tummelten. Schon 1955 startete er bei Clubrennen, obwohl dies erst mit 21 Jahren erlaubt wäre – die Folge war eine Sperre von einem Jahr. Im September 1955 war er mit einem Mercedes 300 SL wie sein Freund, US-Schauspieler James Dean, auf dem Weg zu einem Clubrennen in Salinas, Kalifornien. Es war der Tag, an dem das Idol einer ganzen Generation mit seinem gerade neu erworbenen Porsche 550 Spyder ums Leben kam, und LR war einer der letzten, der ihm auf dem Weg nach Salinas begegnete.
LR startete 1957 auf italienischen Sportwagen (Maserati, Ferrari), auch in Europa. Dort besuchte er mehrere Sportwagen-Teams und -Hersteller und wurde ermutigt, einen eigenen Sportwagen mit bewährter US-Technik (Chevrolet-Motor und Getriebe) zu entwickeln und damit die traditionelle europäische Konkurrenz herauszufordern. Im August 1957 wurde „Reventlow Automobiles“ gegründet. LR, gerade 21 Jahre alt, engagierte mehrere renommierte Ingenieure und Mechaniker für sein Projekt, darunter die Konstrukteure Dick Troutman & Tom Barnes sowie mehrere Techniker, z.B. Warren Olsen, Ken Miles (Fahrgestellentwicklung), Jim Travers & Frank Coons (von „Traco“, Motorenentwicklung) und Chuck Daigh, der gleichzeitig Test- und Rennfahrer war. LR war selbst Pilot Nr. 2. Der „Scarab Mk I“ stand dann zwar für die Rennsaison 1958 in den USA bereit, aber die geplante Teilnahme an den europäischen Sportwagen-WM-Rennen war mit seinem großen V8 nicht mehr möglich, da die FIA 1958 für Sportwagen ein Hubraumlimit von 3 Litern vorschrieb.
Die Troutman & Barnes-Konstruktion entsprach weitgehend der Tradition der späten 1950er Jahre: Der Motor lag zugunsten einer besseren Gewichtsverteilung hinter der Vorderachse, das Getriebe war direkt mit dem Motor verbunden. Der Chevy-V8 hatte zunächst (im Mk I) 4,5 Liter Hubraum (350 PS), im zweiten und dritten Scarab (Mk II) ab Jahresmitte dann 5,5 Liter (380 PS), wahrhaft ausreichend für 860 kg Gesamtgewicht. Weitere Merkmale, Benzineinspritzung, Gitterrohrrahmen (Space Frame), De Dion-Hinterachse oder Alu-Karosserie waren 1958 aktuelle Renntechnik, die Halibrand-16-Zoll-Alufelgen waren sogar ihrer Zeit voraus, die Trommelbremsen dagegen nicht mehr auf dem neuesten Stand.
Renndebut war in Palm Springs, April 1958, und im Mai folgte in Santa Barbara bereits der erste SCCA-Sieg mit LR am Steuer. Der Scarab bestach durch sein sauberes Finish, die elegante Form (Entwurf des 19jährigen Kunststudenten Charles Pelly) und die attraktive hellblau-metallic-Lackierung und natürlich durch seine Performance. Ab Juni 1958 wurde ein zweiter Scarab (Mk II) eingesetzt, der anders als der Mk I nun Rechtslenkung hatte. Ein weiterer Mk II wurde an LR´s Freund Bruce Kessler verkauft. Insgesamt gab es also drei Scarab Sportwagen mit Frontmotor, die – nach gründlicher Restauration – heute alle noch existieren.
Höhepunkt der Rennagenda des Scarab war eindeutig der Times Grand Prix in Riverside, ein 200 Meilen-Rennen im Oktober 1958, zu dem traditionell auch europäische Teams und Piloten kamen, u.a. Phil Hill mit einem Ferrari 4,1 Liter sowie weitere Ferrari, Aston Martin, Jaguar D, Lister und Porsche. Chuck Daigh feierte hier vor 100 Tsd. Zuschauern einen grandiosen Sieg über die europäische Sportwagen-Elite.
Am Ende der Saison, anlässlich der Nassau Speed Week, verkaufte LR die beiden Mk II (den Mk I behielt er zunächst selbst für den Privatgebrauch) an andere Rennteams. Bis 1963 waren die beiden Scarab noch bei den SCCA-Rennen erfolgreich, obwohl die Konkurrenz vielfach schon mit modernen Mittelmotor-Sportwagen antrat. Fahrer wie Augie Pabst, Harry Heuer oder Carroll Shelby saßen am Steuer der Scarab Sportwagen. Den Erlös steckte LR in sein Formel 1-Abenteuer im Jahr 1960, das allerdings gründlich daneben ging – aber das ist eine andere Geschichte. Erfolgreicher war sein Scarab-Sportwagen mit Mittelmotor bei den US-Rennen in den frühen 1960er Jahren. 1962 verabschiedete sich LR vom Motorsport, „Reventlow Automobiles“ wurde geschlossen. Grundstück und Gebäude wurden pikanterweise an Carroll Shelby vermietet, der dort sein neues Projekt „Shelby Cobra“ auf den Weg brachte.
Einen Metall-Bausatz des Scarab in 1:43 gab es in grauer Vorzeit bereits von John Day, später produzierte Midlantic sehr schöne Metall-Bausätze verschiedener Scarabs, auch der Jahre nach 1958, z.B. mit „Meister Bräuser“ als Bier-Sponsor, die heute z.T. noch mit Mühe (und Ebays Hilfe) erhältlich sind. Seit 2011 hat nun auch Marktführer Spark den Scarab in drei Ausführungen im Angebot: (1) Mk I Santa Barbara, Startnummer 16, (2) Mk II Riverside, Siegerwagen Nr. 5 und ganz neu (3) Mk II Meadowdale 1959, Nr. 10 (Lackierung lila).
Zu den Spark-Modellen fiel Rudi Seidel auf der Internetseite „auto & modell“ in seinem Bericht vom Januar 2011 nur ein Wort ein: „perfekt!“. Seine Model-Laudatio kann ich hier nur bestätigen: Lackierung, Decals, Felgen, Scheinwerfer, Lenkrad, Scheibe, Kleinteile – alles auf dem Niveau weitaus teurerer Kleinserien-Modelle. Und natürlich hat Spark auch darauf geachtet, Mk I und Mk II zu unterscheiden (Links- oder Rechtslenkung). Das Modell entspricht, gemessen am Radstand (im Original 2,34 m) fast dem korrekten Maßstab 1:43 (Tendenz zu 1:44). Also: Eine sehr gelungene Replik eines eleganten klassischen Rennsportwagens und damit ein Gewinn für die Modell-Vitrine. Übrigens: Auch der Nachfolger, der Scarab-Sportwagen mit Mittelmotor, ist von Spark für 2012 angekündigt. Er war bislang nur als Bausatz von Midlantic oder von MaScale erhältlich.
Ein lesenswertes Buch über die Scarab-Geschichte ist: Preston Lerner, Scarab – Race Log of the All-American Specials 1957-1965, Motorbooks, 1991. Ansonsten stammen die meisten Fakten dieses Berichts aus verschiedenen Internetquellen.
(c) Der Wegekuckuck
Die dritte Geschichte erzählt wiederum von einem reichen Sohn einer in diesem Falle texanischen Öl-Familie, der wie Lance Reventlow in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre mit europäischen Sportwagen an den amerikanischen SCCA-Rennen teilnahm, um dann Anfang der 1960er Jahre auf eigene Konstruktionen umzusteigen, die schließlich Mitte des Jahrzehnts zu den modernsten Rennfahrzeugen weltweit gehörten: Für James Elliot („Jim“) Hall, geboren 1935, verheiratet seit 1952 (!), 2 Kinder, änderte sich das Leben 1954: Seine Eltern kamen in dem Jahr bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, er begann sein Studium am Caltech (California Institute of Technology) in Pasadena und sein Hobby Rennfahren mit einem Austin Healey.
Noch während seines Maschinenbaustudiums (Abschluss 1957) erwarb er 1955 zusammen mit seinem Bruder Dick just den Ferrari 750 Monza, der zuvor in Sebring mit Phil Hill und Carroll Shelby den zweiten Platz erreichte. Carroll Shelby war sein Lehrmeister am Steuer, zeitweise auch Geschäftspartner (Handel mit europäischen Sportwagen) und technischer Impulsgeber. 1957 stieg JH auf einen Maserati 450S mit 5,7 Liter-Motor um, fuhr weitere europäische Sportwagen (Maserati T61 „Birdcage“, Lister-Chevrolet, Porsche RSK und RS61) und wurde so zu einer festen Größe in der US-Rennszene. 1960 fuhr er sogar einige Formel 1-Rennen mit seinem privaten Lotus 18.
1958 lernte er Hap Sharp kennen, ebenfalls Rennfahrer, der 1959 bereits mit dem neuen britischen Mittelmotor-Sportwagen Cooper Monaco bei den SCCA-Rennen startete. JH war einerseits beeindruckt von den aktuellen Frontmotor-Sportwagen, dem Scarab und dem eigenen Maserati T61, andererseits lernte er das Potential, aber auch die Schwächen der neuen britischen Mittelmotor-Konstruktionen kennen. Folgerichtig bestand der Entschluss zur Konstruktion eigener Sportwagen, der Ende 1960 reifte, aus einem kurzen und einem langen Weg. Der kurze Weg war ein Frontmotor-Sportwagen, der die Scarab-Idee weiterführen sollte, der lange Weg bestand aus der Entwicklung eines innovativen Mittelmotor-Sportwagens für die US-Sportwagenrennen (und später für die CANAM-Serie) und schließlich sogar für die Prototypen-WM 1966/67.
Beim US-Grand Prix im November 1960 in Riverside trafen JH und Hap Sharp auf die beiden Ingenieure Troutman und Barnes, die bei Kurtis-Kraft Rennwagen für die USAC-Serie (u.a. mit Indianapolis) und für Lance Reventlow den Scarab konstruiert hatten. In ihren Köpfen existierte bereits die Idee zu einem „Riverside Sports Racer“, eine Weiterentwicklung des Scarab von 1958: Kleiner, leichter, Radaufhängung im aktuellen Formel 1-Stil, mit Scheibenbremsen und vor allem mit symmetrischer Gewichtsverteilung auf beide Achsen, erreicht durch eine „front-mid-engine“ Konzeption, bei der der Motor hinter der Vorderachse, das Getriebe seitlich vom Fahrer und die Tanks in Wagenmitte lagen. Der Größenunterschied zum Scarab zeigt sich insbesondere in der Fahrzeuglänge (3,90 m gegenüber 4,22 m) und im Gewicht (670 kg gegenüber 860 kg). Der Troutman & Barnes-Entwurf war der modernste Frontmotor-Sportwagen seiner Zeit, allerdings schon konfrontiert mit der nächsten Generation von Mittelmotor-Konstruktionen, angefangen mit dem Cooper Monaco und dem Lotus 19 Monte Carlo. Es sollte übrigens fast 30 Jahre dauern, bis mit dem Panoz wieder ein ernsthafter Versuch eines Frontmotor-Sportwagens unternommen wurde – von den GT-Fahrzeugen soll hier nicht die Rede sein.
Aus dem „Riverside Sports Racer“ wurde 1961 der erste „Chaparral“, so der Name des von JH neu gegründeten Rennstalls, benannt nach dem „Greater Roadrunner“, zu Deutsch „Wegekuckuck“.
Seine Entwicklung profitierte von JHs eigener Teststrecke „Rattlesnake Raceway“, die er in Midland, Texas, bauen ließ. Den Zusatz Chaparral „1“ gab es im Übrigen erst mit der nächsten JH-Konstruktion, dem „Chaparral 2“.
Insgesamt wurden ab Frühjahr 1961 fünf Chaparral 1 gebaut und vier davon in den USA eingesetzt. Der erste (Nr. 001) unterschied sich von den anderen durch einen kürzeren Radstand (2,24 m gegenüber 2,29 m), allerdings auch durch ein besonders enges Cockpit. Die Nummern 001 und 003 blieben in JHs Besitz, die weiteren wurden auf Rechnung von Troutman & Barnes an andere Teams verkauft, z.B. an Harry Heuer bzw. seinen Sponsor „Meister Bräuser“.
Angetrieben wurde der Chaparral durch die bewährte Motor/Getriebe-Einheit von Chevrolet, meist mit 5,2-5,4 Liter V8-Triebwerken und gut 320 PS, für die 12 Stunden von Sebring 1962 musste allerdings das Hubraumlimit der Prototypen-Klasse (4 Liter) eingehalten werden. Renndebut war in Laguna Seca im Juni 1961 (Fahrzeug Nr. 001, Startnummer 148, Fahrer JH, 2. Platz), gefolgt von den 200 Meilen von Riverside im Oktober (001, 66, JH, 3. Platz). Dort hatte der Chaparral bereits einen kleinen Frontspoiler – ein Novum zu dieser Zeit. Es folgte eine volle Rennsaison 1962, mit Rennen kurzer und mittlerer Distanz in den USA und Kanada, sowie der Endurance-Klassiker in Sebring. Größte Erfolge waren der Doppelsieg in Road America im Juni sowie ein erneuter Sieg dort im September, ein 2. Platz bei den 200 Meilen von Riverside und ein 3. Platz beim Daytona Continental, dem Vorläufer der 24 Stunden. In Sebring startete JH zusammen mit Chuck Daigh mit der 001 (Startnummer 11), kam aber nicht ins Ziel, die Nr. 003 (Startnummer 10) schaffte immerhin den 6. Platz in diesem Endurance-Klassiker mit einem hochkarätigen Teilnehmerfeld (Ich folge hier der in den Quellen mehrheitlich angegebenen Variante, es gibt auch Quellen, die der Startnummer 11 den 6. Platz mit Sharp und Hissom zurechnen). Typisch für JH waren stetige kleinere Veränderungen der Karosserie von Rennen zu Rennen, Modellbauer müssen das also immer gründlich recherchieren. Außerdem hatten die Sebring-Fahrzeuge natürlich die übliche Endurance-Ausstattung und die von der FIA geforderten Merkmale, das betrifft u.a. die Frontscheibe plus Scheibenwischer und die Scheinwerfer, die bei Sprintrennen meist fehlten.
Die Abschiedsvorstellung feierten die beiden Chaparral 1 von JH bei den 12 Stunden von Sebring 1963, bereits mit starken Veränderungen der Karosserie gegenüber der 1962er Version. Beide Fahrzeuge fielen dort allerdings aus. Die weiteren an Privatteams verkauften Fahrzeuge fuhren aber auch 1963 noch in den US-Rennen. Für Jim Hall stand der erste Chaparral allerdings schon Ende 1962 nicht mehr auf seiner Agenda, er beschäftigte sich da bereits mit der ersten wirklich eigenen Konstruktion, dem Chaparral 2 mit Kunststoff-Chassis, automatischem Getriebe und Front- und Heckspoiler, der in Riverside im Oktober 1963 sein Renndebut feierte, sowie mit der anstehenden Formel 1-Saison 1963, die er mit einem Lotus-BRM bestreiten sollte. Aber das sind andere Geschichten. Die Chaparral-Story der Jahre 1963 bis 1967, als der 2F der modernste Prototyp der Endurance-Szene war, wird in einem späteren Bericht erzählt, ebenso die Carroll Shelby-Story rund um Cobra Ford, die 1963 begann (siehe Bericht).
Bei Modellen des Frontmotor-Chaparral in 1:43 muss man auf Bausätze zurückgreifen, Diecast- oder Resinecast-Modelle sind nicht lieferbar. Bausätze von guter Qualität liefern die englischen Hersteller „Midlantic“ und „Marsh Models“ sowie „Nestor“ aus Frankreich, außerdem gibt es Resine-Bausätze von „MA Scale“, allerdings in nicht vergleichbarer Qualität, die MA Scale-Modelle erfordern meist einige Nacharbeiten durch den Modellbauer
Midlantic: Sebring 1962 (Nr. 11), Riverside 1962 (Nr. 66), Laguna Seca 1962 (Nr. 66), Fahrzeuge von Jim Hall in weißer Lackierung. Außerdem Fahrzeuge von Harry Heuer (Meister Bräuser) in Blaumetallic: Road America und Laguna Seca 1962 bzw. Meadowdale 1963.
Nestor: 1961 Riverside (Nr. 66) / 1962 Road America (4) und Riverside (66) / 1963 Sebring (9). Alle Fahrzeuge in Weiß (Jim Hall).
MA Scale: 1961 Riverside / 1962 Sebring, Riverside / 1963 Sebring. Alle Fahrzeuge in Weiß (Jim Hall).
Midlantic-Bausatz (hier: Sebring 1962, Nr. 11):
Das Midlantic-Modell ist maßstabgerecht. Der Bausatz besteht aus relativ wenigen Teilen. Karosserie und Cockpit sind aus Resine; Sitze, Bodenplatte, Armaturenbrett, Kleinteile und Felgen sind aus Metall; hinzu kommen die Reifen und der Scheibeneinsatz sowie einige Ätzteile und die Decals. Die Gussqualität ist ausgezeichnet, alle Teile fügen sich sehr gut zusammen, nur der Zuschnitt des Scheibeneinsatzes gestaltet sich etwas schwierig. Die Modellanleitung (mit Farbtafel und Explosionszeichnung) ist ebenfalls tadellos. So ist der Kit durchaus auch für weniger geübte Modellbauer geeignet, zumal die Beklebung mit den Decals überschaubar ist. Eine Beschreibung des Midlantic-Modells findet sich übrigens auch in der Modellzeitschrift „Four Small Wheels“ (Heft 03/2001).
Als sehr gute Bild- und Textquelle für die Chaparral-Sportwagen, insbesondere auch für die Unterschiede der Fahrzeuge von Rennen zu Rennen, eignet sich das Buch von Richard Falconer und Doug Nye, Chaparral, Complete History of Jim Hall´s Chaparral Race Cars 1961-1970, Motorbooks International, 1992. Auch hier stammen viele zusätzliche Fakten aus verschiedenen Internetquellen.
Hallo, gut recherchiert, gut geschrieben, schöne Modelle