Bericht von 2012
Donnerstag, 13. Juni 1996, 17 Uhr Nachmittags: Wieder da! Zum ersten Mal nach sechs Jahren setze ich wieder meinen Fuß auf den Sandboden des Camping Areals „Du Houx“ nahe der legendären 13 km langen Asphaltbahn, die zum historischen Mekka aller Langstreckenfans wurde.
Nach meinen regelmäßigen Le Mans-Besuchen zwischen 1978 und 1990 – alle zwei Jahre – kam es Anfang der 1990er Jahre zu einer sechsjährigen Unterbrechung dieser schönen Gewohnheit. 1992 wäre eigentlich wieder eine Le Mans-Fahrt an der Reihe gewesen, aber der 24 Stunden-Klassiker erlebte in dem Jahr ebenso wie die gesamte Sportwagen-Szene eine Krise – das erzwungene Ende der erfolgreichen Gruppe-C-Zeit ohne eine tragfähige Perspektive als Ersatz (siehe Bericht „Rückblick: Sportwagenrennen – Teil 10“). Angesichts eines mageren Teilnehmerfeldes von nur 28 Fahrzeugen fiel die Entscheidung leicht, 1992 zu Hause zu bleiben. Der ACO setzte nach diesem Desaster verstärkt auf die neu geschaffene GT-Klasse statt auf Formel 1-ähnliche Prototypen. Es brauchte allerdings ein paar Jahre Anlaufzeit, bis man sich mit einer Kombination aus den neuen Sportwagen-Klassen (WSC, LMP1 und LMP2) und den GT-Klassen (GT1 und GT2) wieder auf ein attraktives Starterfeld freuen konnte. 1996 war man nun wieder ganz gut aufgestellt mit einem Feld aus sieben LMP1- und drei WSC-Sportwagen sowie 27 GT1-Fahrzeugen, wobei mehr als ein Dutzend dieser Konkurrenten zum erweiterten Favoritenkreis auf den Gesamtsieg zu rechnen war – alle Zutaten für ein spannendes Rennen waren also bereitet.
Also wurden wieder Karten bestellt und die Siebensachen in meinem altbewährten VW Camper verstaut, der uns zwischen 1984 und 1990 schon viermal zuverlässig nach Le Mans und zurück gebracht hatte. Allerdings begleiteten mich nun andere Mitfahrer als noch 1990: MB war 1982 und 1984 schon mit von der Partie, GB war erstmals wieder nach 1980 dabei, und MS kam zum ersten Mal mit auf die Tour. Der Joker war also gut gefüllt, und der 50 PS-Diesel mühte sich redlich, uns über Hamburg-Bremen, durch die Niederlande mit Zwischenstopp auf einem Campingplatz, Belgien und Nordfrankreich nach Le Mans zu transportieren.
Ankunft Donnerstagnachmittag: Tickets im „Welcome“ Pavillon abgeholt, Campingplatz Du Houx gesucht, Joker platziert, Vorzelt aufgebaut und rechtzeitig zum 2. Training an die Rennstrecke – ein wohlvertrautes Ritual, als habe es die sechsjährige Pause nicht gegeben.
Bei dem ausgeglichenen Starterfeld waren die Trainingseindrücke zusammen mit den Vortrainingszeiten vom April und den Berichten in den Fachjournals mit entscheidend für unsere Favoritenwahl, zumal wir uns für unsere „Le Mans-Siegerwette“ rüsten mussten. Angesichts des späteren Resultats waren diese Eindrücke allerdings für eine treffsichere Prognose wenig hilfreich. So hatte das renommierte englische Motorsport-Journal „Autosport“ in seiner Vorschau zwar den Ferrari 333SP (Schnellster im Vortraining), den Riley&Scott (Sieger in Daytona und Sebring), den McLaren F1 GTR (Vorjahressieger in Le Mans) und natürlich den neuen GT1-Werksporsche 911 auf der Rechnung, auch der Courage Porsche C36 wurde genannt, der im Vorjahr nur mit Pech den lang ersehnten Le Mans-Sieg für Bob Wollek und Mario Andretti verpasst hatte.
Den beiden neuen TWR Porsche, bislang ohne Renneinsatz und von Reinhold Joest aus dem Porsche Museum auf die Rennstrecke gebracht (siehe Bericht „24 Stunden von Daytona“), traute man dagegen nur eine Rolle als „Dark Horse“ zu, etwa so wie dem Kremer Porsche K8, dem Lister Storm oder der Chrysler Viper. Aber dann erzielte Reinhold Joests Nr.8 knapp die schnellste Trainingszeit, und am Ende sollte Joest Racing wieder einmal viele Experten überraschen, auch uns, denn die Nummer 7, der spätere Sieger, stand bei keinem von uns auf dem Wettzettel.
Nach sechs Jahren Unterbrechung waren wir natürlich neugierig darauf, was sich in der Zwischenzeit – abgesehen vom Wechsel von der Gruppe C zu Sportwagen und GT – so alles verändert hatte. Zum ersten Mal konnten wir die neue, 1991 eingeweihte Boxentribüne begutachten und mit der alten Anlage vergleichen, die über 35 Jahre, von 1956 bis 1990, im Wesentlichen unverändert blieb und am Ende für die Teams, insbesondere die Mechaniker, kaum noch zumutbare Arbeitsbedingungen zuließ. Das ungeordnete Kaleidoskop von Menschen vor den viel zu kleinen Boxen, darunter viele Leute, die dort gar nichts zu suchen hatten, war in den Jahren der Gruppe C ein Ärgernis und ständiger Gefahrenherd für Mechaniker und für die Piloten, die sich beim Tankstopp mühsam ihren Weg durch eine Mauer von Menschen zu ihrer Box bahnen mussten. Hinzu kamen die notorischen Raucher auf dem Boxenbalkon, die selbst bei hektischer Betankung eines Fahrzeugs ca. 3 Meter unter ihnen nicht von ihrem Glimmstengel lassen konnten. Die neue Anlage war dagegen großzügig, bot allen Leuten, Piloten, Mechanikern, Presseleuten und sonstigen Funktionsträgern und auch den Zuschauern über den Boxen mehr Sicherheit, und die Zuschauer konnten nun sogar nummerierte und überdachte Sitzplätze einnehmen.
Zwei Nachteile gab es für die Zuschauer allerdings im Vergleich zur alten Situation doch: Der Blick auf die Boxenarbeiten ist seitdem gegenüber der alten Boxenanlage (sofern man dort in der ersten Reihe stand) deutlich reduziert, weil die Ränge höher als früher liegen und weil Reparaturarbeiten nun innerhalb der Boxen stattfinden können: Dies kann man seit 1991 nur noch von den Rängen gegenüber verfolgen, sofern man ein Fernglas zur Hand hat. Und zweitens wurde mit dem Bau der neuen Anlage das alte „Fahrerlager“ abgeschafft, das für die Besitzer einer Eintrittskarte „Boxenbalkon“ jederzeit zugänglich war. Trucks, Werkstatt und Fahrzeuge sind seit 1991 in und hinter den Boxen in einem abgesperrten Areal untergebracht, so wie es heute üblich ist, ein echter „Parc Fermé“ also. Das empfanden wir natürlich als Nachteil, waren doch die regelmäßigen Gänge durchs alte Fahrerlager eine schöne Gewohnheit, die uns viel von der Atmosphäre der Rennwoche und auch viel Information zu Training und Rennen lieferte.
Eine zweite Neuheit entdeckten wir dann eher zufällig an unserem „freien Tag“. Am Freitag vor dem Rennen stand wie bei früheren Le Mans-Besuchen zweierlei auf der Agenda: Erstens „Pitwalk“, zweimal die an diesem Tag zugängliche Boxengasse auf und ab und die Teams und Fahrzeuge aus nächster Nähe begutachten, und zweitens die Fahrt mit dem Bus in die Stadt, wiederum mit dem üblichen Programm: Besuch des Modell-Shops von „Manou“, Gang durch die Innenstadt mit Grill-Einkauf für den Abend und kleiner Abstecher in die historische Altstadt rund um die Kathedrale, Pastis, Kir und Café Noir inbegriffen. Und als schöner Abschluss des Tages der 1996 neu aufgenommene Programmpunkt „Fahrerparade“, heute eine wohlorganisierte Großveranstaltung, 1996 aber noch eher improvisiert, kaum Absperrungen und längst nicht so überfüllt wie in jüngerer Zeit. Alles wie fast schon gewohnt bei herrlichem Sommerwetter, das bis zum Sonntag anhalten sollte.
Samstag – Renntag: Das Warm-Up und das weitere Vormittagsprogramm sahen wir uns von der Boxentribüne aus an, aber nach der Mittagspause wechselten wir unseren Standort, zum ersten Mal nach all den Jahren wollten wir den Rennstart an der Rennstrecke und nicht im Start-/Zielbereich verfolgen. Ein geeigneter Standort: Der „Feldherrenhügel“ auf der Innenseite der Strecke bei den „Esses“, wo man das Feld durch den Dunlop-Bogen und die (damals noch vorhandene) Gerade herunter zur berühmten Links-Rechts-Kombination der „Esses“ verfolgen kann. Die ersten Runden boten ein spektakuläres Bild, allerdings verpassten wir so das bunte und attraktive Programm im Start- und Zielbereich in den letzten beiden Stunden vor dem Start des Rennens – naja, man kann nicht alles haben…
Über die Distanz des Rennens wechselten unsere Standorte zwischen der Boxentribüne, dem Village, unserem Camper und verschiedenen Punkten an der Strecke bis hin zu Tertre Rouge. Die Informationen über den aktuellen Stand waren wie bei unseren letzten Besuchen 1988 und 1990 tadellos: Wir hörten Radio Le Mans per Knopf im Ohr oder im Radio unseres Campers und sahen Bilder vom Renngeschehen auf den an verschiedenen Orten aufgestellten Bildwänden.
Der Rennverlauf war dann doch nicht so spannend wie man angesichts der großen Zahl potentieller Sieganwärter hätte erwarten können. Nach einer Stunde bereits waren die beiden Werks-GT1 und die beiden Joest TWR Porsche an der Spitze des Felds unter sich. Die Konkurrenz war zu langsam, zu durstig, zu defektanfällig oder man machte mit den diversen Kiesbetten Bekanntschaft. Am Morgen blieben von den vier Porsche noch drei Sieganwärter übrig, nachdem der GT1 Nr. 26 nachts zweimal von der Strecke abkam. Am Sonntagmittag fiel dann auch die Nr. 8 von Joest Racing nach technischen Problemen und einem Ausflug ins Kiesbett zurück.
Es blieben der GT1 Nr. 25 mit Stuck, Wollek und Boutsen – eine echtes „Dream Team“ – und Joests „Lucky Number Seven“ mit Alex Wurz, Manuel Reuter und Davy Jones aus den USA. Beide lagen über die gesamte Renndistanz maximal eine Runde auseinander, mit Vorteilen für den TWR Porsche, da sich der GT1 einen zusätzlichen Boxenstopp leistete um seinen verzogenen Unterboden zu richten – Resultat eines Remplers des Courage, bei dem Hans Stuck keine Schuld traf. Diesen Rückstand konnte der GT1 nie mehr aufholen, die Nr. 7 von Joest leistete sich keinen Fehler.
Also wieder kein Sieg sondern nur Platz Zwei für Bob Wollek, der den GT1 mit entwickelt hatte, kein Sieg für Thierry Boutsen, der seine Karriere ein paar Jahre danach ebenso wie „Brilliant Bob“ ohne Le Mans-Gesamtsieg beenden musste. Dafür gewann mit dem Österreicher Alex Wurz ein 1996 noch relativ unbekannter Rookie den 24-Stunden-Marathon. Mit seinen 22 Jahren war er der bis dahin jüngste Le Mans-Sieger der Geschichte, und 13 Jahre später wird der heute (2012) hoch respektierte Sportwagenpilot diesen Erfolg mit dem Peugeot 908 wiederholen. Dritter wurde am Ende doch noch der GT1-Porsche Nr. 26 vor drei McLaren. So endete das Rennen mit dem Sieg eines Fahrzeugs, das eineinhalb Jahre zuvor von Porsche für Daytona und die IMSA-Serie gebaut wurde und das dennoch erst hier in Le Mans sein Renndebut gab, mit Zutaten von TWR (Fahrgestell von Walkinshaw Racing) und Porsche (Motor/Getriebe des alten 956), deren Konstruktionen bereits mehrere Jahre zurück lagen – wahrlich ein „Sieger aus dem Verborgenen“ (Motorsport Aktuell vom 19. Juni 1996). Dasselbe Auto sollte im folgenden Jahr in Le Mans erneut und wieder mit der Startnummer 7 gewinnen und so wahrscheinlich den Impuls für die Verbindung Audi – Joest Racing legen, die seit dem Jahr 2000 so überaus erfolgreich war.
Wie 1990 brachen wir am Sonntag ohne große Eile unsere Zelte ab und fuhren mit unserem Camper nur ein kurzes Stück zum schon bekannten Campingplatz „Bords de l´Eure“ am Rande von Chartres, mit seiner schönen Lage im Grünen und der Nähe zur Altstadt. Frisch geduscht genossen wir dann ein schönes Abendmenü im „Café Serpente“ direkt auf dem Platz vor der beeindruckenden, angestrahlten Kathedrale und erholten uns vom anstrengenden Tag vor der langen Etappe am Montag bis in den Norden Deutschlands.
Die Modelle
Die wichtigsten Konkurrenten konnten schon im selben Jahr oder 1997 als 1:43-Bausätze bestellt werden. Insbesondere Starter, Provence Moulage und LeMansMiniatures waren mit ihren Resine-Bausätzen schnell am Markt, später folgten Kleinserienmodelle von BBR (Ferrari 333SP) und Renaissance. Aber auch der Diecast-Bereich war 1996 schon wesentlich besser aufgestellt als noch 1990, insbesondere die Minichamps-Modelle erreichten einen hohen Modellstandard. Aktuell (2012) sind sieben der zehn wichtigen Fahrzeuge des Rennens von 1996 (siehe folgende Übersicht) als hervorragende Resincast-Modelle der Minimax-Familie (Spark, True Scale, Red Line) lieferbar.
Le Mans 1996 – Modellübersicht (Stand 2012)
Die Fotos der Fahrzeuge beim Rennen habe ich bei meinem Le Mans-Besuch selbst geschossen. Es folgen Fotos einiger Modelle aus der „Minerva“-Sammlung. Wer Fotos oder bewegte Bilder des Rennens 1996 sucht, dem sei das übliche ACO-Jahrbuch (Moity, Teissedre, 1996 Le Mans 24 Hours, IHM Publishing 1996) zu empfehlen. Mittlerweile (2017) gibt es auch eine DVD zum Rennen 1996.