Bericht von 2012 (aktualisiert 2018)
„Give me Goodwood on a summer´s day and you can forget the rest of the world“ (Roy Salvadori)
„Glorious Goodwood“: Für alle Anhänger des historischen Motorsports, insbesondere der goldenen Epoche der 1950er und 1960er Jahre, hat sich das „Goodwood Revival Meeting“, immer im September, mittlerweile zum attraktivsten Ereignis im Jahreskalender gemausert. 2018 feierte das Meeting seine 20. Auflage.
Nach seiner Premiere im Jahr 1995 und einer behutsamen Entwicklung über die ersten Jahre ist das Revival Meeting mittlerweile auch über die Grenzen des Vereinigten Königreichs hinaus so bekannt und beliebt, dass es dem zweiten jährlichen Großereignis auf dem Areal des Earl of March and Kinrara (kurz „Lord March“), dem „Festival of Speed“, seit 1993 im Goodwood Park, langsam den Rang abläuft.
Natürlich kann man die wichtigsten Veranstaltungen des historischen Motorsports, die Mille Miglia Storica (alljährlich ab 1977), die beiden Goodwood Meetings und die „Le Mans Classics“ (seit 2002 alle zwei Jahre) nicht direkt miteinander vergleichen. Die Mille Miglia ist als Mehrtagesrundfahrt durch halb Italien ohnehin einzigartig. Die Fahrzeuge sind Sportwagen der 1930er und 1950er Jahre, die tatsächlich am Original-Ereignis der Jahre 1927-1957 teilgenommen haben (oder hätten teilnehmen können), und die MM Storica ist neben dem Oldtimer-Grand Prix auf dem Nürburgring (seit 1973, bzw. ab 1984 auf der neuen Grand Prix-Rennstrecke) mittlerweile die älteste internationale Veranstaltung des historischen Motorsports. Die Besonderheit der Le Mans Classics sind wiederum das umfangreiche und vielfältige Starterfeld (ca. 500 Le Mans-Sportwagen aus fünf Jahrzehnten, 1923 bis 1979, Stand 2013), die Tradition des klassischen 13-km-Rundkurses und die Atmosphäre insbesondere der Nachtrennen – einzigartig unter den Oldtimer-Veranstaltungen. Allerdings will die über die Jahre stetig modernisierte Rennstrecke in ihrer heutigen Form nicht so recht zu den alten Sportwagen der Vorkriegszeit und der 1950er Jahre passen. Der Kurs ist eben für die aktuellen Le Mans-Prototypen geschaffen, während ein kleiner Lotus- oder Lola-Sportwagen auf dem breiten, von Kiesbetten umrahmten Kurs doch ein wenig verloren aussieht. Dasselbe Problem zeigt sich auch auf dem neuen Nürburgring, zu den historischen Sportwagen passt die alte Nordschleife sehr viel besser.
Ganz anders Goodwood: Der 3,8 km lange Rundkurs, in direkter Nachbarschaft zu Goodwood House and Park in der Nähe von Chichester (Südengland), entspricht in Verlauf und Streckenbreite immer noch fast genau der 1948 eröffneten und bis 1966 genutzten Rennstrecke rund um einen ehemaligen Militärflugplatz der Royal Air Force aus dem 2. Weltkrieg – ein anspruchsvoller Kurs mit mehreren schnellen, nicht einfach zu lesenden Kurven, und in den 1950er und 1960er Jahren neben Silverstone die wichtigste Rundstecke im Vereinigten Königreich. Höhepunkte in Goodwood waren in den 1950er Jahren die Langstreckenrennen für Sportwagen: Goodwood 9 Hours, 1952, 1953 und 1955) und in den Jahren 1958-1964 die Tourist Trophy, anfangs für Sportwagen bzw. später für Prototypen und GT.
Die besondere Verbindung zwischen Goodwood und der Rennfahrerlegende Stirling Moss zeigt sich daran, dass er sein erstes Rennen bei der Eröffnung Goodwoods 1948 gewann und dass seine Formel 1- und Sportwagenkarriere nach dem schweren Unfall 1962 auch genau dort endete. Stirling war in allen Jahren des Revival Meetings Star der Veranstaltung, bis 2012 auch immer als aktiver Teilnehmer.
1966 wurde Goodwood für den Rennbetrieb geschlossen, man war nicht bereit, die schnelle Strecke an die modernen Rennwagen anzupassen – letztlich ein Glücksfall, wie wir heute wissen. In den Jahren bis zur Wiedereröffnung des rekonstruierten Rennkurses im Jahr 1995 diente der Goodwood Circuit als Teststrecke, die auch tageweise an private Clubs vermietet wurde. Ich hatte zwei Mal Anfang der 1990er Jahre das Vergnügen, mit meinem Alfa Spider zusammen mit Freunden des „Snooty Fox Racing Clubs“ aus Schleswig-Holstein einen Tag lang um den Kurs zu brausen. Ein paar Bilder dieses tollen Erlebnisses zeigen den Zustand der Rennstrecke vor ihrer Restaurierung, insbesondere im Start-/Zielbereich.
Für das Revival Meeting wurde der Kurs dann akribisch nach alten Fotos und Filmen in den Zustand vor 1966 zurückverwandelt, und alljährlich versammeln sich Rennfahrzeuge aus der Goodwood-Epoche (Formel-Rennwagen, Sportwagen, GT, Tourenwagen und Motorräder) im rekonstruierten Pit & Paddock-Areal und auf der Startlinie, und im Infield kann man historische Flugzeuge aus der Royal Air Force-Zeit bewundern, die natürlich auch ihre Runden hoch über Goodwood drehen.
Die teilnehmenden Fahrzeuge bilden einen umfassenden Querschnitt der Motorsportwelt der 1930er, 1950er und 1960er Jahre. Insbesondere beim RAC Tourist Trophy Celebration Lauf mit GT-Rennsportwagen der Zeit 1960-1964 (zweimal eine Stunde mit Fahrerwechsel) steht ein Feld hochkarätiger Klassiker am Start, dessen Marktwert locker die 200 Millionen Euro-Marke erreichen dürfte: Mehrere Ferrari 250 GTO oder SWB, Cobra Daytona Coupé, Jaguar E Lightweight, Aston Martin P 212 und DB4GTZ, Bizzarini, Corvette, Maserati T151, Cobra usw.
Die Piloten stammen aus dem Who-is-Who des internationalen Rennsports. 2012 waren es Brundle, Alesi, Aaltonen, Attwood, Mass, DeCadenet, Oliver, Schuppan, Bell, Wallace, Merzario, Pescarolo, Watson, Redman und viele andere. Sie alle lassen die Pretiosen um den Kurs fliegen wie in ihren goldenen Zeiten, Blechschäden inklusive, keine Demo- oder Gleichmäßigkeitsfahrten sondern Rennsport vom Feinsten.
Und dazu die wunderbare Atmosphäre rund um den Rennkurs – eine Zeitreise in die Vergangenheit. Im Pit- und Paddock-Bereich gilt die strikte Regel: Alles muss so sein wie in den alten Goodwood-Zeiten, die Jahre des Air Force Flugplatzes der 1940er Jahre eingeschlossen. Das gilt natürlich auch für alle Teilnehmer, vom Fahrer über die Mechaniker, die Offiziellen, Reporter, Polizei, Feuerwehr und Sanitäter bis zu den Besuchern. Ein einzigartiges Kostümfest.
Natürlich sind auch alle Fahrzeuge rund um den Kurs (Polizei, Feuerwehr, Erntemaschinen, Busse und Taxis) aus der Epoche, ebenso Imbiss-Läden, Werkstätten, Autohändler, Friseurläden, Tankstelle, Karussells usw. bis zu musikalischen oder anderen Life-Auftritten (Big Band- und Rock´n Roll-Musik). Und auch die meisten Besucher außerhalb des inneren „Pflicht“-Areals kleiden sich im Stil der frühen Nachkriegszeit.
Also: Tweed-Sakko, Trenchcoat und Manchester-Hose aus den Tiefen des Kleiderschranks holen oder irgendwo ausleihen, die alte Kleinbild-Kodak Kamera umhängen, den Oldtimer aus der Garage holen und per Fähre über den Kanal nach Südengland fahren – das Goodwood Revival ist ein einzigartiges Erlebnis! Allerdings: B&B-Unterkünfte sind rechtzeitig zu reservieren, und Eintrittskarten sind teuer und bereits Monate vor dem Termin im September ausverkauft. Wer mit einem Auto oder Motorrad mit Baujahr vor 1966 kommt, erhält einen Parkplatz direkt vor dem Eingangsbereich, auf dem nur Fahrzeuge aus der Goodwood-Zeit Einlass finden. Ein Rundgang über diesen Platz ist allein schon einen Goodwood-Besuch wert. Wer Zeit hat, sollte schon am Freitag dort sein, dann steht zwar nur Training auf dem Tagesprogramm, aber alles ist noch relativ entspannt, und der Zugang zu allen Fahrzeugen (und Piloten!) im Paddock-Bereich ist noch nicht so reglementiert wie am Samstag und Sonntag.
Wer dann noch etwas länger in Englands Süden mit seinem meist milden, sonnigen Spätsommerwetter bleiben möchte, bekommt in nächster Umgebung einiges geboten: Den New Forest, ein schönes Naturschutzgebiet westlich von Southampton, mit englischen Kleinstädten aus dem Miss Marple-Bilderbuch, darunter Beaulieu mit seinem „National Motor Museum“ und dem berühmten „Autojumble“ (ebenfalls im September), dem ältesten und größten Outdoor-Oldtimer-Markt Europas, weiterhin Portsmouth mit den sehenswerten „Historic Dockyards“ (für alle Freunde der maritimen Welt) oder die Isle of Wight direkt vor der Küste Southamptons.
Goodwood Revival auf DVD: Die jährliche DVD zum Goodwood Revival liefert einen schöne Überblick über die 3 Tage, mit vielen Rennszenen, Interviews und bewegten Bildern vom Geschehen rund um die Rennstrecke. Die besondere Atmosphäre des Revival kann man zumindest erahnen und bekommt so einen Eindruck, was einen dort erwartet. Bilder und kurze Filmsequenzen sowie die Ergebnislisten sind natürlich auch auf der offiziellen Internetseite des Goodwood Revival zu sehen, und verschiedene Printjournals haben mittlerweile vom Revival berichtet, auch diese Berichte sind im Internet abrufbar.