Bericht von 2013
1996 hatten wir die alte Gewohnheit der Jahre 1978 bis 1990 wieder aufgenommen, alle zwei Jahre auf die Reise aus Schleswig-Holstein/Hamburg nach Le Mans zu gehen. 1998 stand also wieder ein Besuch des 24 Stunden-Rennens ins Haus. Nach einigen dürren Jahren (1992-1995) lockte uns insbesondere in diesem Jahr wieder ein viel versprechendes Feld bemerkenswerter Fahrzeuge. Mit Porsche, Mercedes, Toyota, Nissan und BMW starteten nicht weniger als fünf hochkarätige Werksteams in Le Mans. Hinzu kamen u.a. einige Ferrari 333SP, private McLaren BMW aus dem Vorjahr, Panoz und Chrysler Viper, beide mit Frontmotor-Konzepten, sowie die üblichen Lokalgrößen (Courage) und natürlich die immergrünen Porsche 911 GT2.
Allerdings traten die vier zuerst genannten Hersteller mit „GT“-Fahrzeugen an, die schon lange nicht mehr der ursprünglichen Idee der GT-Kategorie folgten. Spätestens mit dem Porsche 911 GT1 von 1996 geriet die GT1-Klasse in den Jahren bis 1999 in ein zunehmend problematisches Fahrwasser – eine schrittweise Abkehr von der ursprünglichen GT-Idee hin zu reinen Rennprototypen, verbunden mit gegenseitigen Protesten und Beschwerden der jeweils vom neuesten Modell ins Abseits gestellten älteren Konkurrenz. Endpunkt dieser Entwicklung war der Toyota GT-One von 1998, zweifellos ein tolles Rennfahrzeug, das aber nun wirklich nichts mehr mit einem GT gemein hatte. Dazu passten die grotesken „Straßenversionen“, die von der FIA zur GT-Anerkennung gefordert wurden, obwohl sie – wie wir uns vor Ort überzeugen konnten – nicht einmal in der Lage waren, eine kleine Bordsteinkante zu überwinden. Kurz gesagt: Unter dem Label „GT1“ traten in Le Mans Fahrzeuge an, die keine GTs sondern Sport-Prototypen waren. 1999 waren die Organisatoren des ACO dann endlich so konsequent, die Fahrzeuge auch so zu nennen.
Ungeachtet dieser Problematik waren die – ich nenne sie mal so – Prototypen von Toyota, Mercedes, Porsche oder Nissan attraktiv und technisch anspruchsvoll. BMW mit einem neuen offenen LMP1 und Porsche mit dem von Joest Racing übernommenen LMP Spyder, Sieger der beiden Vorjahre, kamen in Le Mans noch als potentielle Siegkandidaten dazu, obwohl sie durch einen kleineren Tankinhalt (80 Liter gegenüber 100 bei den GTs) gehandicapt waren. Die 24 Stunden waren damit der absolute Saisonhöhepunkt, angekündigt als das „größte Rennen seit Ben Hur“.
Die lange Liste der vom ACO akzeptierten Bewerber wurde bei der Vorqualifikation im Mai bereits um 13 Fahrzeuge reduziert. An dieser Hürde scheiterten u.a. die beiden aktuellen Porsche 911 GT1/98 des Zakspeed Teams (mit Zeiten übrigens, die absolut konkurrenzfähig waren), der Panoz mit Hybrid-Antrieb und drei Kremer Porsche K8. Der Schnellste war hier einer der beiden Werks-Porsche 911 GT1/98 knapp vor einem der neuen Toyota GT-One. Am Ende traten 14 offene LMP1 (plus ein LMP2), 15 GT1 Coupés und 17 GT2 zum Rennen an, nachdem sie die technische Abnahme am Montag/Dienstag und das Training am Mittwoch/Donnerstag der „Le Mans-Woche“ überstanden hatten.
Nachdem wir im Frühjahr die üblichen Tickets beim ACO bestellt hatten (Generaleintritt, Boxentribüne und Camping-Stellplatz „La Chapelle/Interieur Musee“), wurde dieses Mal ein kommodes Wohnmobil gemietet – mein alter VW T3 Joker Diesel war im Vorjahr in reichlich gebrauchter Konstitution (kein Wunder nach 16 Jahren treuer Dienste) verkauft worden. Mehr Platz heißt mehr Mitfahrer, so wurde die Truppe von 1996 (HH, MB, GB und MS) um HP ergänzt, der schon in den 1980er Jahren dabei war und nun erneut als wandelndes Le Mans-Lexikon gute Dienste leistete – 30 Jahre Sammeln von Le Mans-Modellautos schlagen sich irgendwann von selbst in Form profunden Fachwissens nieder. Mit dieser guten Besetzung waren wir nun auch beschlussfähig uns einen passenden Namen zu geben: „Minerva Racing“ – dazu gleich mehr.
Zunächst einmal beglückwünschten wir uns gegenseitig zur Entscheidung, dass wir uns dieses Mal wirklich eine ganze Woche Zeit (und Urlaub) nahmen: Hinfahrt bereits am Sonntag, Ankunft Montags in Le Mans nach Übernachtung auf einem holländischen Campingplatz, Tickets im ACO-Welcome gefasst und auf dem noch reichlich locker besetzten Camping-Areal eingerichtet – alles wie am Schnürchen.
Das Camping-Areal „La Chapelle/Interieur Musee“, zwischen Dunlop-Bogen und den großen Camping-Wiesen „Houx“ und „Houx Annexe“ gelegen, war bis zum Umbau der Strecke 2002 (Partie Dunlop-Bogen bis zu den Esses) noch wesentlich größer als heute. Die rund um Teile des Bugatti-Kurses platzierten Stellflächen waren bei unserer frühen Ankunft am Montag auch noch mäßig besetzt, so dass wir einen schönen, ebenen Platz unter Bäumen und sogar mit Wasseranschluss fanden. Letzteres sehr nützlich zum Nachfüllen des Wassertanks, zum Anfeuchten des staubigen Sandwegs vor uns oder auch mal für die kleine Haarwäsche. Später eintreffende Besucher mussten sich dann oft mit einer der vielen unebenen Stellflächen dieses Areals begnügen. Ein besonderer Vorteil des Platzes ist die geringe Distanz zur Rennstrecke – zum Dunlop-Bogen oder zu den Esses ist es nur ein Katzensprung, allerdings erkauft durch einen hohen Lärmpegel bei laufendem Rennbetrieb.
Natürlich war unser erster Gang nach Einrichtung unseres Stellplatzes und des Wohnmobils der zu den Boxen, wo bereits am Montagnachmittag reger Betrieb herrschte, denn nach und nach kamen Fahrzeuge von der technischen Abnahme aus Le Mans zurück. Dabei profitierten wir von den am Montag und Dienstag noch recht laxen Kontrollen – so war es jedenfalls noch 1998 – und konnten uns frei in der Boxengasse bewegen, es waren auch noch nicht allzu viele Besucher vor Ort. Am Dienstag besuchten wir den zweiten Teil der technischen Abnahme im Zentrum von Le Mans – zum ersten Mal nach so vielen Besuchen des Rennens schafften wir durch unsere frühe Ankunft diesen Programmpunkt. Jedem, der den Fahrzeugen, den Piloten und den Teams einmal ganz nahe kommen möchte, sei diese Veranstaltung empfohlen. Ein Muss für technisch Interessierte und Besucher, die sich mit den letzten Meldungen zum Rennen versorgen wollen, bevor es ab Mittwoch ernst wird. Alle Piloten und viele Teammitglieder sind vor Ort, geben Interviews, und viele von ihnen stehen für Fotos oder Autogramme bereit.
Danach ging es in die sehenswerte Altstadt von Le Mans für unseren ersten Pastis oder Kir und zum Abschluss in ein schönes Restaurant auf dem Place Saint Pierre, wo wir den lauen Sommerabend auf der Terrasse bei einem typisch französischen Mehrgangmenü genossen, die eine oder andere Flasche Wein inbegriffen.
Die auf diese Weise gelockerte Stimmung trug dann auch zur Entscheidung bei, in einigen Jahren selbst mit einem eigenen Fahrzeug in Le Mans teilzunehmen, um auf diese Weise endlich Zugang zu den „normalen“ Besuchern verschlossenen Arealen (Boxen, Technischer Bereich usw.) zu erhalten. Unter welchem Namen, war die nächste Frage, die heftig diskutiert wurde. Am Ende entschieden wir uns für „Minerva“, in Erinnerung an eine belgische Auto-Manufaktur aus der Vorkriegszeit, die allerdings – bisher – noch nie in Le Mans gestartet ist. Fortan und bis heute treten wir nun in Le Mans als „Minerva Racing Team“ auf. Das mit der Teilnahme am Rennen und dem Zugang zu Boxen und technischem Bereich hat allerdings bislang (Stand 2012) noch nicht geklappt, aber wir arbeiten weiter daran.
Aber Spaß beiseite: Mittwoch und Donnerstag war Konzentration auf die beiden Trainingssitzungen gefordert, die wir von allen Tribünen aus verfolgen konnten – sie sind erst ab Samstag für die Tribünenkarten-Inhaber reserviert. So sahen wir am Mittwoch von der Tribüne bei der Ford-Schikane das erste Training, Teil 1 des Kampfes um die erste Startreihe, begehrt aufgrund der Schlagzeilen und des Startfotos, das um die Welt geht. Am Abend war der Brundle-Toyota vorn, gefolgt von den beiden Mercedes CLK-LM, bildschöne Fahrzeuge mit einem wundervollen, satten Sound ihrer neuen V8-Motoren. Die zweite Trainingssitzung am Donnerstag verfolgten wir dann zeitweise auf der Dunlop-Tribüne an der gleichnamigen Schikane. Am Ende setzte sich Bernd Schneider mit der absoluten Bestzeit von 3:35,5 Minuten noch vor den schnellsten Toyota, war damit um 6 Sekunden schneller als der Trainingsbeste vom Vorjahr. Mercedes auf Platz 1 und 3, die beiden Werks-Porsche auf den Plätzen 4 und 5 in Lauerstellung, gefolgt von einem der beiden neuen BMW V12, der damit vor dem Porsche LMP1/98 die LMP1-Wertung gewann: Eine spannende Vorspeise, die für den Hauptgang am Samstag/Sonntag viel versprach.
Freitag fuhren wir nach einem Gang durch die offene Boxengasse nochmal in die Stadt. 1998 musste man dazu noch den Bus der Le Mans-Verkehrsbetriebe nehmen, die moderne Tram kam erst ein paar Jahre später. Natürlich stand wieder ein Besuch bei „Manou“, dem kleinen Modellautoladen von Jacques Simonet, auf dem Programm, um nach obsoleten Bausätzen zu fahnden, sowie ein Einkauf für unseren Grillabend. Daraus wurde dann aber nichts – zumindest nicht so wie beabsichtigt – denn nach mehreren schönen Sommerabenden verdarb Freitagabend ein schweres Gewitter mit Starkregen so manche Grillparty, und die Zeltbewohner auf den tiefer gelegenen Campingwiesen (z.B. Areal Houx) hatten nichts zu lachen.
Dieser Wetterkapriole folgte am Samstag ein feucht-nebliger Morgen, das Warm-Up der Teilnehmer und das Rahmenprogramm des Vormittags wurden auf nasser oder feuchter Strecke ausgetragen. Aber gegen Mittag war der Spuk schon wieder vorbei, und beim Rennen ab 14 Uhr blieb uns zumindest bis in die Nacht hinein das schöne, trockene Wetter treu.
Die letzten Stunden vor dem Start und die erste Rennphase nutzten wir unsere reservierten Plätze auf der Boxentribüne, danach nahmen HP und ich den Shuttlebus zur Passage Indianapolis/Arnage, um zum ersten Mal von dort aus das Rennen zu sehen. Die Hinfahrt war recht zügig, aber die Rücktour mit dem Bus dauerte elend lange, da er erst nach einem Umweg über mehrere Stationen (Mulsanne, Arnage,..) und durch Verkehrsstaus eingebremst wieder zum Zielbereich zurückkehrte. Bei unseren späteren Le Mans-Besuchen haben wir daher immer unsere mitgebrachten Fahrräder genutzt, damit geht es wesentlich schneller. Abgesehen davon ist der Abschnitt bei Arnage eine schöne Abwechslung, man ist dort mitten im Grünen, fast wie am alten Nürburgring, und die Fahrzeuge sind vor der Arnage-Kurve relativ langsam und kommen dem Zuschauerbereich ganz nah. Allerdings sind die Zuschauer auch hier seit einigen Jahren durch einen Zaun geschützt, der die Fotografen stört, aber Sicherheit geht vor!
Als wir gegen 18 Uhr endlich wieder im Start-Ziel-Bereich und im Empfangsbereich von Radio Le Mans zurück waren, fehlten bereits die vier Fahrzeuge zweier deutscher Premium-Hersteller. Die von AMG und Rafanelli eingesetzten Mercedes und BMW wurden nach technischen Defekten zurückgezogen, z.T. verursacht durch den in Le Mans ungeeigneten Versuch, dort mit neuem Material anzutreten (neuer Motor im Mercedes, neue Radlager beim BMW). Dass man auch als professionelles Werksteam immer wieder das Risiko eingeht, die Fahrzeuge noch kurz vor dem Rennen durch den Einbau neuer Teile schneller zu machen, wurde hier ebenso wie z.B. 2010 beim Peugeot-Werksteam bitter bezahlt. Nachdem auch die Ex-Joest-LMP Porsche Spyder wenig überzeugten und die Nissan zwar zuverlässig, aber nicht schnell genug waren, hielten seit dem frühen Abend nur noch die beiden Werks-Porsche und einer der Toyotas die Spannung hoch.
Dieser Dreikampf setzte sich über fast die gesamte Renndistanz fort. Der von Thierry Boutsen, Ralf Kelleners und Geoff Lees vorzüglich pilotierte GT-One, der letzte der drei Toyota mit Siegchancen, war zwar etwas schneller als die Porsche, musste aber unterwegs ein paar unplanmäßige Stopps einlegen, wobei sich die Kraftübertragung (Kupplung/Getriebe) als eine Schwachstelle des Neulings herausstellte. Morgens um 6 Uhr, nach einer anstrengenden Nacht mit vielen Regenschauern, lagen folglich die beiden Porsche vorn, und Bob Wollek konnte wie schon in den drei Jahren zuvor endlich auf seinen ersten Le Mans-Sieg hoffen. Dann traf es das Porsche-Werksteam innerhalb von zwei Minuten: Ausritt und Unterbodenschaden beim führenden Wollek-Fahrzeug Nr. 25, Kühlerprobleme bei der Nr. 26. Bis in die Mittagsstunden jagten beide, nun in umgekehrter Reihenfolge, dem Toyota hinterher, wir freuten uns auf ein enges Rennen bis zum Ende. Dann ging alles ganz schnell: Ein finaler Getriebeschaden stoppte den Toyota eine gute Stunde vor Schluss – Tränen bei den Japanern, Happy End für Porsche und ein nachdenklicher Wollek auf dem Treppchen neben dem Siegerteam McNish–Ortelli–Aiello: Er mag gespürt haben, dass dies vielleicht seine letzte Chance auf einen Le Mans-Sieg war.
Porsche jedenfalls triumphierte beim wichtigsten Rennen des Jahres nach einer eher mäßigen Saison zum 50. Firmenjubiläum und – wie später klar wird – zum Abschied von der Spitzenklasse im Endurance-Sport für viele Jahre. Dahinter gingen die Teamleistung von Nissan (Plätze 3, 5 und 6) und die tollen Resultate des privaten McLaren BMW (Platz 4) und des Panoz (Platz 7) fast ein wenig unter.
Der weitere Verlauf des Sonntags war für uns eine Kopie des letzten Le Mans-Besuchs 1996: Nach 16 Uhr Transfer zum Campingplatz „Bords de´l Eure“ in Chartres, ausgiebige Nutzung der dortigen Duschen, und zum Tagesabschluss ein schönes Abendessen auf dem Platz vor der beeindruckenden, angestrahlten Kathedrale, danach wieder zurück in die Stille des Campingplatzes mitten im Grünen – welch´ ein Kontrast zum Geräuschpegel der letzten Tage, aber genau das haben wir ja gewollt…
Die Modelle
Das Modell-Angebot im Maßstab 1:43 hatte sich in den 1990er Jahren weiter verbreitert und verbessert, nicht zuletzt durch Anbieter von 1:43-Diecasts in guter bis akzeptabler Qualität (Minichamps, Quartzo) und durch Super-Bausätze, die allerdings auch nach einem versierten Modellbauer verlangen (Renaissance, Le Mans Miniatures). Den traditionellen Marktführern im 1:43-Bausatzbereich, Starter und Provence Moulage, erwuchs also neue Konkurrenz. Immer beliebter wurden auch Fertigmodelle im 1:43-Kleinserienbereich (Starter, Renaissance, Heco, BBR), die allerdings recht teuer waren und sind. Die Zeit der Resincast-Modelle made in China mit meist hervorragender Qualität bei moderatem Preisniveau war 1998 jedenfalls noch nicht angebrochen. Heute sind viele der wichtigen Fahrzeuge des Rennens von 1998 (siehe folgende Übersicht) als Resincast-Modelle von Spark oder als moderne Diecast-Modelle (HPI, Minichamps, Trofeu) lieferbar.
Le Mans 1998 – Modellübersicht (Stand 2013)
Die Fotos der Fahrzeuge in Le Mans haben MB und ich bei unserem Besuch 1998 selbst geschossen. Die Fotos der 1:43-Modelle stammen aus der „Minerva“-Sammlung.
Wer Fotos oder bewegte Bilder des Rennens 1998 sucht, dem sei das übliche ACO-Jahrbuch (Moity, Teissedre, Frere, 1998 Le Mans 24 Hours, IHM Publishing 1998) zu empfehlen. Es gab auch ein Le Mans-Sonderheft des französischen Modell-Journals „Auto Modelisme“ mit mehreren Fotos von jedem teilnehmenden Fahrzeug, optimal für den Modellbauer, sowie ein Videoband vom Rennen („The Official Le Mans Video“, Beckmann Home Video, Isle of Man). Eine DVD gibt es mittlerweile auch.