Le Mans 2002: Audi weiterhin ohne Gegner – Elfter Besuch des Rennens

Bericht von 2014

„Die Audis liegen unglaublich ruhig auf der Bahn. Es sind wirklich perfekte Autos durch und durch, alles ist in einem wunderbaren Gleichgewicht. Man hat so das Gefühl, mit dem Auto könnte ich auch schnell fahren.“ (Manfred Jantke in Eurosport, Übertragung Le Mans 2002)

Audi 2002

Audi R8, Le Mans-Sieger 2002 (Modell: Minichamps)

Die jährlichen Rennen in Le Mans folgen im Wechsel der Jahre unterschiedlichen Mustern. Man kann von vier Grundtypen ausgehen: (1) ein hochkarätiges Feld aus drei oder mehr professionellen Teams mit Siegchancen, (2) ein Duell zwischen zwei dominierenden (Werks-) Teams, (3) ein einziges dominierendes (Werks-) Team als klarer Favorit, und (4) ein ausgeglichenes Feld ohne klaren Favoriten.

Typ (1) tritt in der Le Mans-Historie sehr selten auf. Beispiele aus der jüngeren Geschichte waren die Jahre 1998 und 1999, als mehrere Werksteams aufeinander trafen. In beiden Fällen reduzierte sich die Frage nach dem Sieger aber schon nach wenigen Stunden auf ein Duell zweier Teams. 2014 und 2015 traten wieder drei Werksteams auf Augenhöhe an, mit der Erwartung, dass die Auseinandersetzung in Le Mans über viele Stunden spannend bleibt.

Typ (2) Das Duell zweier starker Werksteams: Dieser Fall tritt relativ häufig auf, wir denken an die Duelle Ferrari gegen Ford, Porsche gegen Ford, Porsche gegen Renault oder 2007 bis 2013 Audi gegen Peugeot oder Toyota. Aber spannend waren die Rennen nur dann, wenn sich beide Teams über weite Teile des Rennens oder bis zum Zieleinlauf auf Augenhöhe duellieren, Paradebeispiele sind die Jahre 2008 oder 2011 mit den Duellen Audi gegen Peugeot.

Typ (3) kommt ebenfalls nicht selten vor, und wenn das dominierende Team auch das nötige Stehvermögen mitbringt, kann Le Mans – jedenfalls wenn es um den Gesamtsieg geht – durchaus mal recht langweilig sein. Es bleibt dann nur die Frage, welches Fahrzeug des Favoritenteams am Ende vorn ist. Das Jahr 2002, unsere elfte Tour nach Le Mans (zum dritten Mal unter dem Label „Minerva Team“), gehörte zu dieser Kategorie – die drei Werks-Audi R8 waren einfach zu überlegen.

Typ (4): Gelegentlich gibt es Jahre, da glänzen hochkarätige Werksteams durch Abwesenheit – eine gute Chance für Privatteams, den 24-Stunden-Klassiker zu gewinnen. Nicht selten sind gerade solche Rennen aufgrund einer größeren Zahl potentieller Sieganwärter recht spannend – so wie etwa 1980, als Jean Rondeau seinen großen Erfolg feierte, oder 1984, als mehrere gleichwertige Porsche 956-Privatteams in Abwesenheit der Werksporsche ihre Chance auf einen Le Mans-Sieg sahen.

2002 also ein Le Mans-Rennen vom Typ (3), die drei Werks-Audi R8 – gegenüber dem Vorjahr erneut weiter entwickelt – waren absolut dominierend, sowohl auf dem Papier als auch im Rennen – so, wie man es auch schon vor dem Saisonhöhepunkt erwarten konnte: Eine Bestätigung der erfolgreichen Auftritte der Joest-Audi der beiden zurückliegenden Jahre. Immerhin war das Wetter 2002 deutlich angenehmer als im verregneten Jahr 2001, insofern waren wir froh, wieder die gerade Jahreszahl für unsere Le Mans-Fahrt ausgewählt zu haben.

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MG Lola Ex 257

Unsere Fahrt 2002 war in vielen Punkten eine Kopie der beiden vorangegangenen Le Mans-Besuche 1998 und 2000 (siehe Berichte 1998 und 2000). Start in Kiel mit dem Wohnmobil, wieder mit HH und GB als „Stammbesetzung“ sowie HGB, MB und MS, während unser Le Mans-Experte HP dieses Mal leider krankheitsbedingt passen musste und schmerzlich vermisst wurde. Hinfahrt wieder auf der bewährten „Holland“-Route über Hengelo und Utrecht, mit einem Zwischenstopp auf einem Campingplatz kurz vor der belgischen Grenze, am folgenden Tag dann durch Belgien und Nordfrankreich nach Le Mans. Die zum Jahresanfang bestellten Tickets im Welcome-Center abgeholt und unseren Womo-Stellplatz „La Chapelle“ angesteuert, unser schönes, gewohntes Ritual. Allerdings dieses Mal mit anderen Tribünenkarten, nicht wie üblich die Boxentribüne, sondern die Tribüne „Benoist“, etwa gegenüber der Boxenausfahrt. Vorteil: Man kann die Zielgerade und die Anfahrt zum Dunlop-Bogen einsehen, man sieht, welche Fahrzeuge gerade die Boxen aufsuchen bzw. verlassen, und man hat eine Video-Wand gegenüber. Und natürlich profitiert man von einem festen Sitzplatz und vom Schutz vor Sonne und Regen. Nachteil: Die Boxenstopps, die vielen Attraktionen in den letzten Stunden vor dem Start oder die zuweilen bewegenden Momente nach der Zielankunft kann man von der Boxentribüne aus besser verfolgen als von den Tribünen am Ende der Zielgeraden.

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Pitwalk Le Mans 2002

Nach dem üblichen Programm in den Tagen bis zum Samstag – Trainingssitzungen, Besuch der Stadt mit seinem sehenswerten Quartier Medieval und seinem Zentrum, Besuch des Modellautoladens „Manou“, Abendessen auf dem Place Saint Pierre, freuten wir uns schließlich auf das Rennen, das bei schönem Sommerwetter stattfand, ohne allerdings allzu hohe Erwartungen in einen spannenden Rennverlauf zu hegen. Und so kam es dann auch: Audi wurde seiner Favoritenrolle voll gerecht, und am Ende fuhren die Nr. 1, gefolgt von der Nr. 2 und der Nr. 3, also in „ordentlicher“ Reihenfolge (Porsche 1982 lässt grüßen) und mit großem Vorsprung über die Ziellinie, und das siegreiche Team Kristensen, Biela und Pirro feierte einen in der Le Mans-Historie bis dahin einmaligen Hattrick.

Etwas mehr Gegenwehr hatten wir bei den Audi-Konkurrenten eigentlich schon erhofft. Die Ingolstädter kamen zwar mit der Empfehlung der Siege in den beiden Jahren zuvor und bei den 12 Stunden von Sebring im März 2002 an die Sarthe, aber die Trainingszeiten einiger Wettbewerber lagen eigentlich nicht weit hinter denen der Audi R8 zurück, die im Bereich um 3:30 Minuten lagen und damit die bisherigen Top-Zeiten aus dem Jahr 1999 erreichten. So zeigte Stepháne Sarrazin mit dem von Oreca eingesetzen Dallara Judd schon 2002 sein aus den späteren Peugeot-Jahren bekanntes Talent für eine schnelle Le Mans-Runde. Der Dallara, im Vorjahr noch als „Chrysler“ unterwegs, bestätigte mit einem Trainingsrückstand von nur 2 Sekunden zum schnellsten Audi seinen Erfolg in Daytona Anfang des Jahres. Die Piloten der Nr. 14, Sarrazin – Minassian – Montagny, sollten in den kommenden Jahren bei Pescarolo oder Peugeot noch für Furore sorgen, aber keiner von ihnen schaffte den für einen französischen Piloten so wichtigen Le Mans-Sieg.

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Oreca Dallara Judd LMP1

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Bentley Exp Speed 8

Für viele überraschend, aber angesichts der Kenndaten des Fahrzeugs durchaus erklärbar, waren die 3:33 des schnellsten der beiden MG Lola aus der LMP2-Kategorie, die 2002 noch als Leichtgewichte (675 kg) an den Start gehen durften. Cadillac kam in seinem dritten Jahr deutlich verbessert und mit einigen starken Piloten nach Le Mans, und Bentley erhielt nach seinem Debutjahr 2001 einen stärkeren Motor, weiterhin auf Basis der Audi-Antriebstechnik – wohl das optisch attraktivste Fahrzeug in der obersten Klasse. Auch der Dome von „Racing for Holland“ war im Training sehr schnell und zudem originell gestaltet mit hunderten kleiner Firmenaufkleber. Andere Fahrzeuge der LMP1-Kategorie (Panoz, Courage) standen dagegen weniger im Vordergrund.

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MG Lola Ex 257 (LMP2)

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Cadillac Northstar LMP1

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Panoz LMP1 Evo

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Courage Peugeot C60 (Team Pescarolo)

Aber Training und Rennen sind immer noch Zweierlei: Audis Marschgeschwindigkeit lag von Anfang an deutlich über der aller Konkurrenten, von denen in den ersten Rennstunden die kleinen MG Lola noch am meisten überzeugen konnten. Über die Renndistanz setzten sich der professionelle Einsatz und die Zuverlässigkeit der R8 und die Qualität der Audi-Piloten durch, man wurde eigentlich nur durch eine Vielzahl von Reifendefekten und kleinere Anlasser-Probleme gestört. Am Ende hatten die beiden führenden Audi auch die kürzesten Boxenzeiten der Spitzenkategorie, und das ist es was letztendlich zählt. Nebenbei wurde von Kristensen aber auch noch der Rundenrekord aus dem Jahr 1999 deutlich unterboten. Bentley schaffte den begehrten Platz hinter den Dominatoren, im nächsten Jahr sollte der VW Konzern die Weichen für den erneuten Bentley-Sieg nach 73 Jahren stellen. Oreca holte sich dahinter die Plätze 5 und 6.

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Oreca Dallara Judd LMP1

Die GTS-Kategorie (Vorläufer der GT1-Klasse) sah 2002 das Jahr Zwei der Ablösung der dominierenden Rolle der Chrysler Viper durch die Corvette C5R und den ersten Auftritt eines neuen Konkurrenten: Ein einziger Ferrari F550 Maranello des Prodrive Teams mischte die Klasse mit der schnellsten Trainingszeit auf, schied dann aber aus. So ging der Klassensieg an die Corvette, aber das Duell der folgenden Jahre stand bereits auf dem Speisezettel.

Die beiden anderen Klassen standen weniger im Mittelpunkt: Die LMP2-Fahrzeuge waren 2002 immer noch zu fragil für die 24 Stunden-Distanz – das sah 10 Jahre später ganz anders aus. Und die GT-Klasse blieb trotz eines neuen Konkurrenten (Ferrari 360 Modena) immer noch fest in der Hand der Porsche 911 GT3, mit dem Racers Group 911 als Klassensieger. Die späteren Gesamtsieger Dumas und Bernhard sammelten mit dem 911 GT3 ihre ersten Le Mans-Erfahrungen.

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Morgan Aero GT (Le Mans 2002)

Was war noch besonders? Ach ja, wir alle (also alle ca. 200.000 Zuschauer) waren als Komparsen eines neuen Le Mans-Spielfilms eingesetzt: „Michel Vaillant au 24H du Mans 2002“, mit zwei Fahrzeugen (Lola alias Vaillante und Panoz alias Leader), die außer Konkurrenz mitfuhren. Das Resultat war dann leider gemessen am legendären McQueen-Epos aus dem Jahr 1970 eher dürftig.

Die Rücktour war dann wieder wie gewohnt: Nach der Siegerehrung einpacken und schon mal 100 km Richtung Heimat fahren. In Chartres erholten wir uns dann am Sonntagabend auf dem Campingplatz und in der Altstadt bei einem schönen Essen, bevor es am Montag auf die letzte, 1000 km lange Etappe nach Hause ging.

Le Mans 2002 – die Modelle in 1:43

2002 war das zweite Jahr in der Geschichte des heutigen 1:43-Marktführers Spark (siehe Le Mans-Bericht 2000). Die Chinesen erweiterten ihr Angebot an Le Mans-Fahrzeugen gegenüber dem Vorjahr, immerhin kamen vier der neun wichtigsten Teilnehmer des Rennens (siehe Übersicht) vom Resincast-Pionier. Audi, Bentley und die Corvette wurden von Minichamps angeboten, einige weitere Fahrzeuge von IXO, dem Nachfolger von Vitesse/Onyx, und wer als Modellbauer eine bessere Qualität als die beiden Diecast-Rivalen suchte, konnte bereits wenige Monate nach dem Rennen auf die hervorragenden Resine-Bausätze von Provence Moulage zurückgreifen. Die Franzosen hatten alle wichtigen Fahrzeuge des Jahres 2003 im Programm. Insofern ist es auch heute (2014) – Ebay sei Dank – durchaus noch möglich, die Protagonisten des Rennens der eigenen Vitrine zuzuführen.

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Oreca Dallara Judd LMP1 (IXO)

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Cadillac Northstar LMP1 (Spark)

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MG Lola Ex 257 LMP2 (Spark)

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Dome Judd S101 „Racing for Holland“ (Ebbro)

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Riley & Scott Mk IIIC (Spark)

Modellübersicht Le Mans 2002 (Stand 2014)

Die Fotos der Fahrzeuge in Le Mans habe ich bei unserem Besuch 2002 selbst geschossen. Die abgebildeten 1:43-Modelle stammen aus der „Minerva“-Sammlung. Wer Fotos oder bewegte Bilder des Rennens sucht, dem sei das übliche ACO-Jahrbuch (Moity, Teissedre, Frere, 2002 Le Mans 24 Hours, Gruppe C Motorsports Verlag, 2002) zu empfehlen. Es gab auch wieder das Le Mans-Sonderheft des französischen Modell-Journals „Auto Modelisme“ mit mehreren Fotos von jedem teilnehmenden Fahrzeug, optimal für den Modellbauer, sowie eine Aufzeichnung vom Rennen auf DVD.

LM 2002 Buch

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