Le Mans und Mercedes-Benz: Ein Kapitel für sich…
Bericht 2 zur Trilogie über die „S-Serie“ von Mercedes-Benz 1927-1932
Zur „S-Serie“ von Mercedes-Benz und zu den Starts in Le Mans 1930-1932 sowie zu den Modellen in 1/43 können hier auf der Minerva-Webseite drei Berichte aufgerufen werden. Der Bericht 1 befasst sich mit der Entwicklungsgeschichte der S-Serie vom Typ „K“ bis zum „SSKL“. Und der Bericht 3 liefert zunächst eine Liste der 1/43-Modelle der Rennsport-Versionen dieser Autos und beschreibt dann vier 1/43-Modelle (SS, SSK, SSKL).
Mercedes-Benz und Le Mans: Gemessen an der langen und erfolgreichen Motorsport-Tradition von Mercedes und Benz bzw. Mercedes-Benz, insbesondere im Grand Prix-Segment, fällt die historische Le Mans-Bilanz eher mager aus, und sie blieb nicht frei von ungewöhnlichen und tragischen Fällen oder von technischen Problemen. An die Le Mans-Erfolgsgeschichte anderer Hersteller, Bentley, Alfa Romeo, Jaguar, Ferrari, Porsche oder Audi, reichen die Resultate bei weitem nicht heran, und von einem langfristigen Engagement beim berühmtesten Langstreckenrennen kann keine Rede sein.
Einsätze nach dem Krieg
In den Jahren ab 1949 trat man in Le Mans nur in drei relativ kurzen Episoden an: (1) In den 1950er Jahren fuhren Mercedes-Benz Rennsportwagen – abweichend von den ursprünglichen Plänen – nur 1952 und 1955 in Le Mans. (2) Dann folgten mehrere Jahre der Gruppe C-Epoche, als sich Stuttgart am Einsatz des Sauber-Rennstalls beteiligte. In den sieben Jahren 1985 bis 1991 nahm „Sauber Mercedes“ allerdings nur viermal am Rennen teil. (3) Und schließlich kamen in der GT1-Zeit (1995-1999) zweimal die von AMG eingesetzten Mercedes-Benz nach Le Mans, ohne zählbares Ergebnis. Das war´s bis heute (2023).
Zu (1): Der erste Le Mans-Besuch nach dem Krieg endete mit einem Paukenschlag: Der Doppelsieg zweier 300SL-Prototypen nach strenger Regie von Rennleiter Neubauer wurde möglich, weil einige stärker eingeschätzte Konkurrenten (Ferrari, Jaguar, Cunningham, Talbot) schwächelten und am Ende weitgehend nicht mehr im Rennen waren. Ein erneuter Start des überarbeiteten 300SL im folgenden Jahr kam nicht zustande, man war da bereits mit der Entwicklung des W196-Formel 1 für 1954 voll beschäftigt. Die Tragödie von 1955 um den 300SLR von Pierre Levegh ist ebenso wie der Rückzug des gesamten Mercedes-Teams vom 1955er Rennen in Le Mans in der Folge des Unglücks ein Stück Motorsportgeschichte. Ein für 1956 ursprünglich geplanter Le Mans-Einsatz des 300SLR in offener und/oder geschlossener Form kam nicht mehr zustande – Mercedes-Benz verabschiedete sich Ende 1955 vom großen Motorsport (zu den Typen 300 SL und 300 SLR siehe auch ein Bericht von 2017).
Zu (2): Erst Mitte der 1980er Jahre kehrte man als Motor-Ausrüster für den Schweizer Peter Sauber nach Le Mans zurück. Diese zweite Periode des von Jahr zu Jahr intensiveren Le Mans-Engagements der Stuttgarter Firma erfuhr ihren Höhepunkt beim überzeugenden Doppelsieg (plus Platz 5) des Sauber Mercedes C9 im Jahr 1989 gegen starke Konkurrenz, vor allem von Jaguar und Porsche. Ob dieser Sieg nun auf das Konto der Mercedes-Bilanz geht oder dem Sauber Team zusteht, ist etwas für Haarspalter – darüber könnte man schon wieder einen neuen Bericht schreiben. Auch diese Gruppe C-Zeit ist allerdings bei Mercedes von Irritationen geprägt: Angefangen mit dem Looping des Sauber Mercedes C8 beim Le Mans-Training 1985 mit John Nielsen am Steuer, der die Teilnahme am Rennen verhinderte, über den Rückzug des Teams 1988 nach einem kapitalen Reifenplatzer im Training bei 350 km/h ohne plausible Erklärung bis zum Startverzicht 1990 als Folge der Streitereien des ACO mit der FISA über den WM-Status des Rennens. Der Mercedes-Benz C11, das überlegene Gruppe C-Auto 1990, verpasste damit einen sehr wahrscheinlichen Le Mans-Sieg. 1991 trat das Sauber Mercedes Team mit drei C11 ein letztes Mal in Le Mans an. Der C11 galt als Favorit, das Auto von Mass und Schlesser führte auch überlegen bis drei Stunden vor Schluss, fiel dann aber aus. Und trotz des fünften Platzes der „Junioren“ rund um Michael Schumacher war Le Mans 1991 damit eine Enttäuschung.
Zu (3): Aber es kam noch schlimmer! Am Ende des Jahrzehnts trat das AMG Mercedes-Team zweimal in Le Mans an und musste zwei krachende Niederlagen einstecken. 1998 kam man mit zwei brandneuen CLK-LM der GT1-Klasse und fuhr gegen die Werksteams von Toyota, Porsche, Nissan und BMW. Bernd Schneider lag nach einer guten Stunde vorn, dann verendete sein CLK vor großer Kulisse auf der Start-Zielgeraden: Motorschaden. Dasselbe Schicksal ereilte 10 Runden später auch den zweiten CLK – identischer Defekt, gleiche Wirkung: Ausfall des Teams nach gerade einmal zwei Stunden. 1999 trat AMG Mercedes erneut mit drei neu entwickelten CLR gegen Toyota, BMW, Panoz und Audi an und scheiterte ein zweites Mal, in diesem Jahr mit furchterregenden Abflügen beim Training, im Warm Up und schließlich im Rennen, Folge einer fehlerhaften Aerodynamik. Peter Dumbrecks Flugeinlage in der 5. Rennstunde führte zum Rückzug des gesamten Teams.
Die Le Mans-Bilanz der genannten Mercedes-Einsätze nach dem Krieg ist also ernüchternd: Von den ursprünglich geplanten 14 Teilnahmen (1952-1956, 1985-1991, 1998/99) wurden nur acht realisiert, dazu kamen noch die beiden Rückzüge während des Rennens (1955, 1999). Bei den verbleibenden sechs Rennen (1952, 1986, 1987, 1989, 1991, 1998) wurden lediglich vier Podiumsplätze erreicht (Plätze 1 und 2 in den Jahren 1952 und 1989), neun der 15 in diesen Rennen eingesetzten Autos fielen dagegen aus.
Le Mans-Einsätze vor dem Krieg
In den Vorkriegsjahren konzentrierten sich die internationalen Starts von Mercedes- bzw. Mercedes-Benz Rennsportwagen auf die Targa Florio, Werkseinsätze bei den beiden ab den späten 1920er Jahren wichtigsten Sportwagenrennen des Jahres, der Mille Miglia und Le Mans, fanden bis einschließlich 1929 dagegen nicht statt. Der Start des Mercedes-Benz „SS“1 mit Caracciola und Werner in Le Mans 1930 blieb dann auch der einzige Le Mans-Werkseinsatz von Mercedes-Benz vor dem Krieg. In den beiden folgenden Jahren stand jeweils ein privater „SS“ am Start, insgesamt waren es also nur drei Einsätze der berühmten „S-Reihe“ beim 24-Stundenrennen. Von einem akribisch vorbereiteten und mit einer schlagkräftigen Mannschaft aus mehreren Werkswagen antretenden Mercedes-Werksteam – so wie später bei den Grand Prix-Rennen (1934-1939) oder in den frühen Nachkriegsjahren (1952, 1954/55) – waren die Starts beim französischen Klassiker also weit entfernt, obwohl der „SS“ mit seinem bärenstarken Siebenliter-Sechszylinder und dem für den schnellen Le Mans-Kurs passenden langen Chassis des Viersitzers eigentlich ein aussichtsreicher Siegkandidat gewesen wäre.
1Anmerkung: In einigen Quellen werden die Mercedes-Benz, die 1930-1932 in Le Mans am Start waren, als „SSK“ bezeichnet. Darauf wird am Ende dieses Berichts Nr.2 eingegangen.
Um in Le Mans den „Platzhirschen“ Bentley – Sieger der Jahre 1927-1930 – ernsthaft herausfordern zu können, hätte man bei Mercedes-Benz allerdings in zweifacher Hinsicht planvoller und entschlossener vorgehen müssen:
(1) Früherer Einstieg: Wir wissen heute, dass man – mit Ausnahmen – zwei bis drei Jahre benötigt, um einen erfolgversprechenden Angriff auf den Sieg in Le Mans starten zu können. Der Typ „S“ war bekanntlich bereits 1927 einsatzbereit, der verbesserte Typ „SS“ dann 1928. In diesen beiden Jahren waren die Bentley noch überwiegend mit dem 4,5 Liter Vierzylinder unterwegs.
Mit ca. 130 PS war der Bentley dem Typ „S“ leistungsmäßig unterlegen, der mit Kompressor auf über 200 PS kam (ohne Kompressor 120 PS), und gegenüber dem „SS“ mit 220-250 PS mit Kompressor (bzw. 160-170 PS ohne Aufladung) wäre der Leistungsunterschied noch deutlicher gewesen. 1929 rüstete Bentley dann nach: Der neue „Speed Six“ hatte nun sechs Zylinder und 6,6 Liter Hubraum und erreichte 190 PS, also etwas mehr als der „SS“ ohne Kompressor. Allerdings startete 1929 neben den vier schwächeren „4,5 Litre“ nur ein einziger „Speed Six“ in Le Mans, der das Rennen dann aber prompt gewann.
1930 kam Bentley mit einer beeindruckenden Armada nach Le Mans: Man startete nun mit drei „Speed Six“, und das Werksteam wurde zusätzlich von zwei privaten 4,5 Liter „Blower“ (also mit Kompressor) verstärkt, die deutlich über 200 PS leisteten.
Der einzige Mercedes-Benz „SS“, der 1930 versuchte, dagegen zu halten, erreichte ohne Kompressor wohl nicht ganz die PS-Zahl des „Speed Six“, mit eingeschaltetem Kompressor war die Leistung aber höher als bei den Werks-Bentleys. Die Aufladung war allerdings nicht für einen Dauereinsatz ausgelegt, der Kompressor sollte möglichst nur punktuell eingesetzt werden, z.B. bei Überholvorgängen. Fazit: 1928 und 1929 wären die Siegchancen eines „SS“ gegen die Bentleys wohl größer gewesen als 1930.
(2) Start mit zwei oder drei Autos: Dass ein erfolgreicher Angriff auf den Le Mans-Gesamtsieg, zumal als Neuling gegen einen starken und gut vorbereiteten Gegner, ein Werksteam mit zwei, besser mit drei Autos erfordert, war schon in der Vorkriegszeit eine wichtige Regel, und sie gilt heute noch. Zu groß sind die Unwägbarkeiten durch technische Probleme oder Unfälle, um auf ein einziges Auto zu setzen. Das war 1930 sicher auch dem Mercedes-Rennleiter Neubauer geläufig, der später für seine kraftvollen Einsätze – nicht kleckern sondern klotzen – bekannt und vom Gegner gefürchtet wurde, und es war eigentlich schon vor dem Ersten Weltkrieg gute Mercedes-Tradition, man denke nur an den Grand Prix de l´A.C.F. 1914. Ein Einsatz mit drei Werkswagen stellte (und stellt immer noch) eine goldene Regel dar, einerseits im Sinne einer Risikominimierung und andererseits als Option für taktisches Teamwork. Berühmt sind die „hare and tortoise“ Strategien eines Neubauer oder später von John Wyer, z.B. bei Aston Martin, indem ein Auto das Rennen mit vollem Einsatz (und Risiko) beginnt, um den Gegner zu einer (zu) schnellen Gangart zu verführen, während die beiden anderen Autos erst einmal als „backup“ zurückgehalten werden.
In Le Mans 1930 war der von Caracciola am Start gefahrene „SS“ der Hase, aber es fehlten die Schildkröten. Bentley hatte mit seinen drei „Speed Six“-Werkswagen und zwei weiteren schnellen „Blower“ im Privateinsatz einen deutlichen strategischen Vorteil, der am Ende das Rennen entschied. Über den Grund, warum Mercedes 1930 in Le Mans so vorsichtig agierte, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Womöglich war das gesamte Jahresbudget für die Werkseinsätze nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise Ende 1929 so drastisch gekürzt worden, dass kein Einsatz eines Dreiwagen-Teams bewilligt wurde. Mehr zum Rennen von 1930 im folgenden Abschnitt.
Le Mans 1930 – Ein Mercedes-Benz „SS“ fordert fünf Bentley heraus
Gemessen an der Zahl der Teilnehmer (16) stellte das Rennen 1930 einen Tiefpunkt dar. Schon in den Jahren ab 1927 lag die Zahl der Autos nur zwischen 22 und 33, und eine deutliche Erholung wurde erst ab 1934 erreicht. Die Weltwirtschaftskrise und die magere Beteiligung französischer Hersteller liefern zum Teil eine Erklärung. Mittlerweile waren nicht mehr die Franzosen, sondern die britischen Hersteller dominierend, allen voran natürlich Bentley: Nach dem Vierfachsieg 1929, gleichzeitig ein Hattrick nach den Erfolgen 1927 und 1928, trat das Werk als Favorit mit drei „Speed Six“-Autos an (Sechszylinder ohne Aufladung, 6,6 Liter Hubraum), hinzu kamen noch zwei privat gemeldete „Blower“ (mit Aufladung, 4,5 Liter Vierzylinder). Der am stärksten eingeschätzte Kontrahent war sicher der Mercedes-Benz SS, vom Werk eingesetzt, mit Caracciola und Christian Werner am Steuer. Darüber hinaus waren je zwei amerikanische Stutz (DV32 mit 5,4 Liter-Achtzylindermotor) und britische Talbot (Type 90, 2,3 Liter) zu beachten, und endlich wurde auch ein Alfa Romeo 6C 1750 zugelassen (Sechszylinder, 2,3 Liter mit Aufladung), seit 1929 einer der erfolgreichsten Rennsportwagen. Er trat in blauer Lackierung und reglementgerecht als Viersitzer an und wurde von Stiles in London gemeldet, mit Earl Howe und Callingham als Piloten. Die beiden Talbot kamen am Ende auf die Plätze 3 und 4, der Alfa auf Rang 5. Bemerkenswert auch die Teilnahme des ersten Frauenteams in Le Mans: Odette Siko und Marguerite Mareuse fuhren einen Bugatti T40 (1,5 Liter) und schafften Platz 7.
Die Regularien waren in Le Mans traditionell besonders streng. Die Autos mussten sämtliche Merkmale eines straßengängigen Tourenwagens nachweisen: Kotflügel, Frontscheibe, funktionsfähiges Verdeck, Scheinwerfer und Rücklichter, Hupe, Rückspiegel, Schalldämpfer; Wagenheber und Reserverad durften 1930 erstmals in der Box aufbewahrt werden. Fahrzeuge ab 1000ccm Hubraum mussten über vier Sitze verfügen, dabei waren auch Notsitze („Dickey Seats“) erlaubt. Quentin Spurring gibt in seinem Buch „Le Mans 1930-1939“ (siehe Quellennachweis) in einer Tabelle Mindestgewichte des ACO an. Danach musste der Mercedes mindestens 2000 kg wiegen (1820 kg plus dreimal 60 kg als „Ballast“ für drei Mitfahrer), beim Bentley waren es 1880 kg (Anmerkung: Im Text des Buches werden allerdings andere Gewichte genannt, insofern sind die Tabellenangaben unter Vorbehalt zu sehen). Zeitplan: Technische Abnahme am Donnerstag, Training am Mittwoch, Donnerstag und Freitag nachts (ungezeitet), allerdings auf nicht abgesperrtem Kurs.
Den Rennverlauf kann man in drei Kapiteln beschreiben. Die Startphase war durch Caracciolas Blitzstart und die ersten stürmischen Runden geprägt. Tim Birkin setzte mit seinem Blower Bentley alles daran, dem Mercedes die Führung abzujagen, was die Reifen seines Autos allerdings übel nahmen. Bei diesem Duell – ausgetragen ohne Rücksicht auf bevorstehende 24 Stunden – wurde der Rundenrekord des Vorjahres um über 30 Sekunden (!) unterboten.
Danach – Phase 2 – beruhigte sich das Rennen etwas, bei Mercedes konnte der Einsatz des Kompressors (kritisch im Dauerbetrieb) reduziert werden. Allerdings waren nun die großen Werks-Bentley etwa gleich schnell. So ging das Duell Mercedes gegen die beiden verbliebenen Speed Six in die Nacht. Und dann – Phase 3 – war die Spannung auf einen Schlag aus dem Rennen: Morgens um 2 Uhr, nach 10 Stunden, endete die Fahrt des Mercedes mit einer defekten Lichtmaschine. Die beiden Bentley Speed Six konnten nun das Tempo herausnehmen, Woolf Barnato und Glen Kidston fuhren in den verbleibenden eintönigen 14 Stunden einem ungefährdeten Sieg entgegen.
Barnato, Miteigentümer von Bentley, erzielte eine bis heute einmalige Erfolgsquote: Drei Starts in Le Mans (1928-1930), drei Siege. Für Bentley wurde der Triumph zum Schwanengesang – nach dem Le Mans-Sieg zog sich das Rennteam zurück, ein Jahr später meldete man Insolvenz an und wurde wenig später in einem bemerkenswerten Verfahren an Rolls Royce verkauft. Für Mercedes-Benz führte das Rennen zur Erkenntnis, dass man kaum erwarten kann, ein Rennen wie Le Mans beim ersten Angriff und mit nur einem einzigen Auto zu gewinnen.
1/43-Modelle der wichtigsten Teilnehmer (DC=Diecast; RC=Resincast; KS=Kleinserie oder Bausatz, Stand 2023):
Bentley Speed Six: MCM, Starter, SMTS (KS); Spark (RC), IXO (DC)
Bentley Blower: Minichamps (DC) / Talbot: MCM (KS)
Stutz: Mikansue (KS) / Alfa Romeo: FB Model (KS) / Bugatti T40: MCM (KS)
Le Mans 1931 – Platz 2 für einen privaten „SS“, aller Ehren wert
26 Autos am Start – Le Mans 1931 zeigte eine leichte Erholung gegenüber dem Negativrekord des Vorjahres. Es war das letzte Jahr auf dem langen Kurs über 16,4 km (ab 1932 ging die Runde nur noch über 13,5 km), und ein letztes Mal gehörten die großen, schweren Sportwagen zu den Favoriten, die in den späten 1920er Jahren bis 1930 das Rennen bestimmt hatten. Mit dem neuen Alfa Romeo 8C 2300 setzte sich ein Sportwagen der neuen Generation an die Spitze: Leicht, niedrig, schnell und technisch hoch entwickelt mit einem relativ kleinen Leichtmetall-Doppelnockenwellenmotor, mit acht Zylindern und Kompressor.
Alfa kam nach dem Debut bei der Mille Miglia und dem Sieg bei der Targa Florio mit zwei Werkswagen nach Le Mans, einer fiel allerdings schon vor Rennbeginn aus. Hinzu kam ein von Lord Howe gemeldeter 8C, der vom Werk vorbereitet wurde. Zweiter Fahrer war der ehemalige Bentley-Pilot Tim Birkin. Unter den Schwergewichten waren die Werks-Bentley nicht mehr am Start, aber mit dem neuen Bugatti T50S (Achtzylinder mit Kompressor, 5 Liter Hubraum, 2000 kg) bewarb sich ein neuer Kandidat um den Sieg. Drei Bugatti T50S waren am Start, hinzu kamen zwei Chrysler und ein Stutz, Achtzylinder aus den USA, und ein Mercedes-Benz SS, in diesem Jahr als Privateinsatz. Außenseiterchancen wurden den beiden Dreiliter-Talbots zugestanden.
Der „SS“ wurde von dem in Paris lebenden Exilrussen Tatarinoff gemeldet und von Henri Stoffel (Frankreich) und Boris Ivanowski, ebenfalls ein Exil-Russe und Mercedes-Repräsentant in Paris, gefahren – beide durchaus bekannte Sportwagenpiloten. Eine Meldung des 1931 installierten „Ein-Wagen-Teams“ um Neubauer und Caracciola (als Nachfolge des 1930 aufgelösten Mercedes-Werksteams) kam nicht in Frage, da Caracciolas „SSKL“ als Zweisitzer in Le Mans nicht zugelassen war. Ob der private „SS“ in Le Mans 1931 dasselbe Fahrzeug war wie der Werkswagen von 1930 (trotz kleinerer Karosserieänderungen), ist dem Autor nicht bekannt.
Viele Sportwagen der „alten Schule“ litten 1931 unter Reifenproblemen. Bei Bugatti führte dies nach schweren Unfällen schon in der Anfangsphase zum Rückzug des gesamten Teams – die Michelin-Reifen hielten der Belastung (Gewicht, Motorleistung, Tempo) nicht stand. Mit ähnlichen Problemen hatte zunächst auch der Mercedes zu kämpfen.
Die Schnellsten in der Startphase waren die beiden Alfas, die Bugatti und der Mercedes. Nach drei Stunden war das Bugatti-Team nicht mehr dabei, und die Alfas übernahmen nach den Reifenproblemen des Mercedes das Kommando. Morgens fiel der Werks-Alfa nach einem Unfall aus, aber der britische Alfa, dessen Lackierung so kurz vor Rennbeginn nicht mehr von rot auf grün geändert werden konnte, blieb unantastbar, lange Zeit vor den beiden Talbots. Das Mercedes-Team wechselte zur zweiten Rennhälfte von Englebert- auf Dunlop-Reifen und startete eine Aufholjagd bis auf Platz zwei. Die Chance, um den Sieg zu kämpfen, wurde aber in den ersten Stunden vertan. Am Ende kamen nur sechs Autos in Wertung ins Ziel, und Alfa holte sich den ersten der vier Siege in den Jahren 1931 bis 1934 mit dem legendären 8C.
1/43-Modelle der wichtigsten Teilnehmer (DC=Diecast; RC=Resincast; KS=Kleinserie oder Bausatz, Stand 2023):
Alfa Romeo 8C: Starter, FB Model, MCM, Prov. Moulage (KS); Spark RC); IXO (DC)
Bugatti T50S: MCM, SLM43 (KS) / Talbot T105: Mikansue, GCAM (KS)
Stutz: SLM43 (KS) / Bugatti T43: Auto Replicas (KS) / Aston Martin 1,5LM: SLM43 (KS)
Le Mans 1932 – Stiller Abgesang, letzter Auftritt eines privaten „SS“
Nach dem Erfolg des Alfas 1931 kamen nicht weniger als sechs 8C 2300 nach Le Mans: Zwei Werkswagen und vier privat gemeldete Autos. Als stärkste Gegner wurden die beiden Bugatti T55 eingeschätzt, mit ähnlichen Motordaten wie die Alfas, also nicht mehr so groß und schwer wie der unglückliche T50S des Vorjahres. Die Zeiten des alten „Schwermetalls“, Bugatti T50S, Bentley, Stutz oder Mercedes, waren nun endgültig abgelaufen, keines dieser Autos konnte 1932 noch spürbar ins Renngeschehen eingreifen. Der Mercedes-Benz SS war privat von Henri Stoffel gemeldet und wurde von den Brüdern Foucret gefahren, er fiel bereits nach zwei Stunden aus. Ebenso erging es dem alten Bentley und dem Stutz. Die Bugatti T55 konnten das Tempo der Alfa-Meute nicht ganz mitgehen und fielen ebenfalls aus. Da sich die Alfas über die gesamte Distanz heftig bekämpften, blieben am Ende nur zwei übrig, die die Plätze eins (Sommer und Chinetti) und zwei (Werkswagen mit Cortese und Guidotti) belegten.
Mercedes-Benz in Le Mans 1930-1932 – Typ „SS“ oder „SSK“?
In der Beschreibung von MCM zum Bausatz des Le Mans-Autos 1930 (sowie 1931 und 1932) wird der Typ als „Mercedes SS“ bezeichnet, viele andere Quellen sprechen ebenfalls vom Typ „SS“. In anderen, durchaus seriösen Quellen, insbesondere in Büchern, die vom Automobile Club de l´Ouest autorisiert sind, ist dagegen vom Typ „SSK“ die Rede. Was ist nun korrekt?
Also: Die Mercedes-Benz Autos, die 1930, 1931 und 1932 in Le Mans starteten, waren eindeutig vom Typ „SS“ mit vorschriftsmäßigen vier Sitzen und einem Radstand von 3,40m (Länge 4,70m). Bestätigt wurde das nicht nur durch eigene Vermessung diverser SW-Fotos von 1930/31 und des MCM-Modells, sondern auch nach mehreren Anfragen, z. B. bei „Mercedes-Benz Classic“ (Michael Jung, Christian Biederstaedt) sowie diversen Experten der „S-Reihe“ (Dr. Rolf Kirsch oder Dieter Dressel von „Central Garage“). Eine Anfrage beim Mercedes-Benz Modellclub (MBMC) blieb leider unbeantwortet. Auch renommierte Buchautoren wie Cyril Posthumus oder Karl Ludvigsen bezeichnen den Le Mans-Mercedes als „SS“, Ludvigsen in seinem Standardwerk „Mercedes-Benz Renn- und Sportwagen“. Genau genommen – so schreibt er – hatten die drei Le Mans-Autos das Fahrgestell und die Karosserie vom Typ „S“ und die Motor-/Getriebeeinheit vom „SS“, sie werden aber (auch offiziell im „Mercedes-Benz Public Archive“) als Typ „W6“ bzw. „SS“ bezeichnet. Der „SSK“ mit dem kürzeren Radstand (2,95m, Länge 4,25m) und zwei Sitzen durfte in Le Mans so nicht eingesetzt werden, und wegen des deutlichen Radstand-Unterschieds geben die Fotos von damals auch hinreichend Aufschluss darüber, dass es sich in Le Mans um den „SS“ handelte. Der in der Literatur genannte Trick mit den „Bucket Seats“ (Notsitze für ein eigentlich als Zweisitzer gebautes Fahrzeug), mit dem Autos für Le Mans der Viersitze-Regel angepasst werden konnten, kam zwar ab 1932 bei einigen Alfa Romeo 8C-Autos zur Anwendung, aber nicht beim Mercedes.
Die Quellen zu den drei Beiträgen zur „S-Reihe“ werden am Ende des 3. Berichts zu diesem Thema aufgeführt.