1939 bis 1951
Spa, Belgien, 9./10. Juli 1938: Carlo Pintacuda und Francesco Severi siegen mit ihrem Alfa Romeo 8C 2900B Spider Corsa bei der letzten Ausgabe der 24 Stunden von Spa vor dem Krieg. Sie krönen damit eine erfolgreiche Saison für Alfa Romeo, nachdem der Spider Corsa bereits im April mit Clemente Biondetti (und Kopilot Stefani) die Mille Miglia vor einem weiteren 8C 2900B gewonnen hat und eine spezielle Le Mans-Berlinetta (Umbau auf Basis des Spider Corsa) kurz vor einem überlegenen Sieg in Le Mans stand: Biondetti und Raymond Sommer scheiterten dort nach 21 Stunden weit in Führung liegend an den Folgen eines Reifenplatzers auf der langen Geraden.
Der 8C 2900B war der dominierende Sportwagen der letzten vollen Vorkriegssaison 1938 und die Krönung der berühmten Achtzylinder-Reihe, die der Chefkonstrukteur Vittorio Jano ab 1931 für Alfa Romeo auf alle Rennstrecken Europas schickte. Der Sieg in Spa war aber auch der „Schwanengesang“ des 8C, nicht nur vor dem Hintergrund des aufziehenden Krieges, der dem Rennbetrieb eine sechsjährige Pause aufzwang, sondern auch, weil Alfa Corse bei den großen Rennsportwagen ab 1939 auf den 1936/37 im Grand Prix-Rennwagen eingesetzten Zwölfzylinder setzte.
Wir erinnern uns: Bei A.L.F.A. (noch ohne „Romeo“) begann Ingegnere Giuseppe Merosi ab 1910 zunächst mit Vierzylindermotoren, dann folgte sein Meisterstück, der „RL“ mit sechs Zylindern, der 1923 als „RL TF“ bei der Targa Florio den ersten großen Sieg für Alfa Romeo holte. Im selben Jahr kam Vittorio Jano zu Alfa Romeo und entwarf den wunderbaren Sechszylinder-Motor, der ab 1926/27 die berühmten 6C 1500 und 6C 1750 Sportwagen antrieb und viele Siege in Sportwagenrennen einfuhr. Der Sechszylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen, teils mit und teils ohne Kompressor-Aufladung, blieb bis Anfang der 1950er Jahre die wichtigste Antriebsquelle der Touren- und Sportwagen hinter den raren und immens teuren Achtzylinder-Boliden.
Über die Rennsportszene der letzten „Friedensjahre“ 1937-1939 vor dem Hintergrund der politischen Lage in Deutschland und Europa wurde auf dieser Webseite bereits berichtet („Ein letzter Tanz auf dem Vulkan“). Die Protagonisten der großen Langstrecken-Klassiker dieser Jahre, insbesondere Le Mans (1937/38/39) und Mille Miglia (1937/38), waren neben Alfa Romeo die französischen Teams von Bugatti, Talbot, Delahaye und Delage sowie 1939 der britische Lagonda.
Gruppenfoto (folgt demnächst)
Dabei erstaunt aus heutiger Sicht, dass die Firmen und Rennställe ungeachtet der ernst zu nehmenden Vorboten eines bevorstehenden Kriegs weiter an Neukonstruktionen oder Verbesserungen ihrer Einsatzfahrzeuge arbeiteten, wohl in dem Vertrauen darauf, dass ein wahrscheinlicher militärischer Konflikt nur wenige Monate dauern würde. Heute wissen wir es besser…
Delage stellte in Le Mans seinen neuen, stark verbesserten D6-3L vor, weiterhin angetrieben vom Sechszylindermotor mit drei Litern Hubraum. Delahaye konnte auf seinen 4,5 Liter-V12 Motor des Grand Prix-Rennwagens (Typ 145) im Sportwagen-Trimm zurückgreifen, kam außerdem mit einem modernisierten 135 CS (Sechszylinder, 3,6 Liter) nach Le Mans und notierte für dieses Auto die schnellste Runde. Talbot setzte 1939 in Grand Prix-Rennen bereits den „MD“ (Monoplace Décaléè) ein, der – als Zweisitzer mit Kotflügeln ausgestattet – als Nachfolger des T150C vorgesehen war, weiterhin mit dem bewährten 4,5 Liter-Sechszylindermotor. Zudem war man bei Talbot auch mit einem neuen 4,5 Liter-V16 Projekt beschäftigt. Auch bei Bugatti arbeitete man an einem Nachfolger des in Le Mans 1939 siegreichen T57C. Der neue T64 hatte einen 4,5 Liter-Achtzylinder-Reihenmotor oder den Grand Prix-Motor des T59/50B mit 4,7 Litern, acht Zylindern und Kompressor. Allerdings wurden alle Neuentwicklungen in Molsheim im Spätsommer 1939 nicht nur kriegsbedingt, sondern auch wegen des tödlichen Unfalls von Jean Bugatti eingestellt, der seit einigen Jahren als Nachfolger seines Vaters Ettore für Management und Entwicklung zuständig war. Ein neuer potenter Konkurrent trat 1939 in Le Mans an: W. O. Bentleys Lagonda Rapide mit 4,5 Liter-V12 Motor startete dort erstmals – es war ein vorsichtiger Testlauf für den ernsthaften Angriff auf den Le Mans-Titel im folgenden Jahr, dann nicht mehr mit der 1939er Roadster-Karosserie, sondern vermutlich mit einem aerodynamischen Coupé von Lancefield. Alle großen Pläne dieser Firmen und Rennställe wurden aber nach Ausbruch des Krieges zurück- und dann ganz eingestellt.
Zurück zu Alfa Romeo: In den Jahren 1936-1938 gab es bei Alfa Romeo einige dramatische Veränderungen: Wifredo Ricart wurde Leiter der Entwicklungsabteilung, dagegen verlies Vittorio Jano 1937 das Unternehmen. Und während die Renneinsätze der Werkswagen bis 1937 unter Regie der Scuderia Ferrari erfolgten, hatte das Unternehmen beschlossen, wieder als vollwertiges Werksteam unter dem Namen „Alfa Corse“ anzutreten. Die Scuderia Ferrari wurde aufgelöst, Enzo Ferrari behielt aber seine Funktion als Rennleiter des Teams (bevor er das Unternehmen Ende 1938 endgültig verließ). Ferrari nahm dafür seinen wichtigsten Konstrukteur Gioacchino Colombo mit zu Alfa Corse nach Portello. Die etwas erratische und erfolglose Entwicklungspolitik im Grand Prix Bereich ist hier nicht das Thema. Die Sportwagen-Einsätze jedenfalls erfolgten wie zuvor zweigleisig: Einerseits die großen Boliden für die bedeutenden Endurance-Klassiker, zumal auf schnellen Rennkursen, und parallel die leichteren 6C 2500 Sportwagen für engere Kurse und für Privateinsätze. Bei den großen Sportwagen erfolgte 1938/39 allerdings ein Wechsel vom traditionellen 8C (2900B) zum Zwölfzylinder (412), auch hier wohl in der Erwartung, dass es trotz der drohenden Kriegshandlungen allenfalls zu einer kurzen Unterbrechung des Rennbetriebs kommen würde. So war die Kategorie der 4,5 Liter-Saugmotoren vor dem Hintergrund der für 1941 geplanten neuen Grand Prix-Formel (1,5 Liter mit Aufladung, 4,5 Liter für Saugmotoren) als zukünftiges Konzept eine Alternative zu den hochgezüchteten Kompressor-Motoren. Außerdem wurde der Einsatz aufgeladener Motoren von einigen Veranstaltern von Sportwagenrennen untersagt.
Der 412: Als der 412 im Verlauf des Jahres 1938 entstand, war Vittorio Jano, Schöpfer der 8C-Reihe, zwar nicht mehr bei Alfa unter Vertrag, aber die Zutaten für den 412 entstammten doch seinen Konstruktionen, konnten quasi „aus dem Regal“ zusammengestellt werden. Es entstanden wohl (mindestens) zwei 412, die auf zwei Chassis des 8C 2900A aufgebaut wurden. Der 4,5 Liter-V12 stammte vom 1937er Grand Prix Rennwagen „12C-37“, der ab 1938 bekanntlich nicht mehr dem neuen Reglement entsprach (Dreiliter-Formel). Beim 12C lag die Leistung mit Kompressor bei über 400 PS, im 412-Sportwagen fehlte dagegen die Aufladung, die Leistung lag nun bei ca. 220 PS, also etwa auf dem Niveau des Vorgängers 8C 2900B Spider Corsa. Felice Bianchi Anderloni von Carrozzeria Touring schuf auf dieser Basis eine offene Karosserie mit ausgeprägten Kotflügeln, die mit dem Wagenkörper verbunden waren – also ähnlich wie beim 8C 2900B Spider Corsa. Allerdings wurden die eleganten, flüssigen Linien des Vorgängers nicht ganz erreicht – bei den 1/43-Modellen muss also beachtet werden, dass die Karosserien dieser beiden Typen nicht identisch sind. Das Heck des 412 ist kürzer als beim 8C 2900, und der Frontgrill ist beim 412 vertikal gebogen, beim 8C 2900 fast plan.
Eine Anmerkung zu den Fahrzeugnummern der beiden 412 von 1939: Die meisten Quellen nennen die Zahlen 412151 und 412152. Allerdings taucht gelegentlich auch eine abweichende Nummerierung auf: 412037 und 412038. Mehrheitlich wird davon ausgegangen, dass es bei den erstgenannten Zahlen um die Motorkennzeichnung und bei den zweiten um die Fahrgestellnummern handelt. Aber gesichert ist das nicht! Diverse Quellen zum Thema 412 offenbaren weitere strittige Details, z.B.: Gab es neben den beiden erwähnten Autos einen oder zwei weitere, möglicherweise nicht komplett fertiggestellte 412? Waren die 412 vor dem Krieg tatsächlich immer nur ohne Aufladung unterwegs? Wurden die Chassis vom 8C 2900A verwendet oder doch vom 8C 2900B? Einige Webseiten, die derartige Fragen behandeln, werden am Ende dieses Berichts genannt.
Technische Daten des 412 von 1939 (Version ohne Kompressor): 600-V12-Motor (Leichtmetall), 72x92mm=4492 ccm Hubraum, 3 Doppelvergaser, 2 obenliegende Nockenwellen pro Zylinderreihe, 220-230 PS (5500 U/min), Verdichtung 8,2:1, 2 Ventile/Zylinder, 4 Gänge, Transaxle-Konzept (Getriebe hinten). Chassis: Radstand 2750mm, hinten Pendelachse, Gewicht 1030 kg, Räder: 5,50×19 Zoll, Spitze ca. 220 km/h.
Renneinsatz 1939: Die internationale Motorsportsaison 1939 fand mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September ein Ende. Allerdings waren drei der vier wichtigsten Endurance-Termine (Mille Miglia, Le Mans, Spa) traditionell auf Frühjahr und Sommer terminiert, nur die 12 Stunden von Paris (September) fielen dem Kriegsausbruch zum Opfer. Tatsächlich fand 1939 von diesen vier Rennen aber nur das in Le Mans statt, sowohl die Mille Miglia als auch die 24 Stunden von Spa fielen aus (die Mille Miglia aufgrund schwerer Unfälle im Vorjahr). In Le Mans war kein Alfa Romeo 412 (oder der 8C 2900B des Vorjahres) am Start. Möglicherweise verzichtete man bei Alfa Corse auf einen Werkseinsatz, weil italienische Piloten in Frankreich aus politischen Gründen keine Startberechtigung hatten (merkwürdigerweise waren deutsche Fahrer durchaus zugelassen). Alfas Präsenz in Le Mans beschränkte sich auf eine von Raymond Sommer gemeldete 6C 2500 SS Berlinetta, die er zusammen mit Prinz Bira fuhr. Der 6C war aber aufgrund seiner Kerndaten (120 PS, Gewicht 1160 kg, Spitze unter 200 km/h) bei normalem Rennverlauf nicht in der Lage, die schnellen französischen Sportwagen oder die Lagonda zu gefährden – das Auto war im Sinne der Nachkriegsjahre eher ein „Gran Turismo“ als ein Vollblut-Sportwagen.
Jedenfalls beschränkten sich die Starts des neuen 412 in der Saison 1939 auf zwei Rennen der zweiten Kategorie. Am 31. Mai fand der Groote Prijs van Antwerpen statt, mit drei Läufen über insgesamt gut 300 km, und die beiden 412 holten sich da gleich einen Doppelsieg (Farina vor Sommer). Eine Woche später, bei Grand Prix du Centenaire in Luxemburg, musste man sich dem Bugatti T59/50B mit Wimille geschlagen geben. Biondetti wurde mit dem 412 Zweiter, Farina fiel aus. Auf Platz 4 landete Emilio Villoresi, der hier noch einmal den 8C 2900B der Vorsaison fuhr. Weitere Einsätze des 412 waren im Juli/August nicht mehr vorgesehen.
Modelle in 1/43 (Alfa 412 von 1939): In seiner Vorkriegsform wurde der 412 bislang nur von BBR (Serie „Styling“) produziert, und zwar als Sieger des GP Antwerpen (Farina, Startnummer 28). Das Modell ist leider schon lange nicht mehr lieferbar, und da es vor dem Krieg weder in Le Mans noch bei der Mille Miglia am Start war, ist da wohl auch keine Besserung zu erwarten. Anders sieht es bei den 412-Varianten der Jahre nach dem Krieg aus.
Renneinsatz nach dem Krieg: In den ersten Nachkriegsjahren lag bei Alfa Romeo der Focus auf der Beseitigung der kriegsbedingten Zerstörungen des Werks und dem Aufbau einer „Zivilproduktion“, nachdem der Staatskonzern in Mussolinis Zeiten mit umfangreicher Rüstungsproduktion (z.B. Flugmotoren) beschäftigt war. Natürlich versuchte man auch, die Autoproduktion über diese kritischen Jahre in die neue Zeit zu überführen: Das Modell „6 C“ wurde über die 1940er Jahre bis schließlich 1953 weiter produziert, allerdings wie zuvor in kleinen Stückzahlen, maximal knapp 500 Autos pro Jahr (1948 und 1949). Unter der neuen technischen Leitung von Orazio Satta Puliga galt es, so schnell wie möglich in eine größere Serienfertigung eines neuen Modells einzusteigen, was dann mit der Entwicklung und Markteinführung des Tipo 1900 (ab 1950) auch gelang.
Im Motorsport war daher eine Konzentration der Kräfte notwendig: Priorität hatte die Rettung und Wiederbelebung der über die Kriegsjahre in einer Käserei versteckten Rennwagen, insbesondere der Tipo 158 „Alfettas“, die nun genau ins künftige Grand Prix-Reglement passten, das 1950 in die erste Formel 1-Weltmeisterschaft mündete. Der Sportwagenbereich lief dagegen erst einmal auf „Sparflamme“ und blieb weitgehend auf italienische Rennen beschränkt, er lag in den Händen von Privatfahrern. Erst mit dem 6C 2500 Competizione kehrte man 1948-1950 wieder mit Werkseinsätzen zurück (Targa Florio, Mille Miglia), allerdings nur mit überschaubarem Aufwand.
Immerhin: Beim ersten großen Langstreckenrennen nach dem Krieg, der Mille Miglia 1947, holte sich Alfa Romeo mit dem vom Alfa-Händler Emilio Romano eingesetzten Vorkriegs-8C 2900B (Berlinetta) den elften und letzten Mille Miglia-Gesamtsieg (siehe Bericht auf dieser Webseite).
Im folgenden Jahr setzte Romano mit seinem 8C 2900B Spider Corsa (Nr. 412032) erneut ein potentes Vorkriegsauto bei der Mille Miglia und der Targa Florio ein (siehe Bericht):
Targa Florio 1948 (4. April): Startnr. 51, Beifahrer Rosa (ausgefallen)
Mille Miglia 1948 (2. Mai): Startnr. 51, Beifahrer Cresta (ausgefallen)
Zu beiden Einsätzen gab es ein sehr schönes und recht teures Fertigmodell von „Alfa Model 43“.
Tipo 412 (412151): 1949 und 1950 tauchten dann die beiden Tipo 412 der Saison 1939 wieder auf. Die Nr. 412151, der Sieger von Antwerpen 1939, gehörte nun Felice Bonetto, dem erfahrenen und brillanten Renn- und Sportwagenpiloten, u.a. Zweiter bei der Mille Millia 1949 im Werks-Ferrari. Er startete 1950 mit dem Tipo 412 in der Vorkriegsform (Touring) bei der Targa Florio und der Mille Miglia:
Targa Florio 1950 (2. April): Startnr. 450, PROVA MI 328 (Ausfall durch Unfall)
Millie Miglia 1950 (23. April): Startnr. 732, PROVA MI 328. Beifahrer Casnaghi (Ausfall)
Auch hier produzierte „Alfa Model 43“ ein sehr schönes 1/43-Modell, das leider kaum noch lieferbar ist (Für Fotos dieser Modelle kann man die Webseite „carmodel“ /„Alfa Romeo 412“ aufrufen).
Im Juni 1950 gewann Bonetto noch ein kleineres Rennen in Portugal (Circuito da Boavista, Porto, 310 km, mit der Startnummer 10). Im April 1951 nahm er mit seinem Touring-412 an der Targa Florio (=Giro di Sicilia) teil und verunfallte dort. Das Auto wurde dabei stark beschädigt, so dass Bonetto seinen 412 für die Mille Miglia (29. April) mit einer neuen Karosserie versehen musste. Bei Vignale entstand dann eine deutlich modernere Barchetta-Variante mit voll integrierten Kotflügeln und flüssiger, aerodynamischer Linie.
Mit dem frisch umgebauten, noch unlackierten 412 kam Bonetto dann nach Brescia und holte zusammen mit seinem Beifahrer Casnaghi einen beachtlichen sechsten Platz (Startnummer 427, Kennzeichen MI74985), das Auto war damit bester Alfa im Klassement. Der 412 hatte die aktuelle typische Alfa-Frontgestaltung mit dem langgestreckten vertikalen „Scudetto“ und den beiden seitlichen „Baffi“ und nahm damit das Design der aktuellen Alfas vorweg. Im Juni kam Bonetto mit seinem 412 wieder nach Portugal, dieses Mal zum 1. Gran Premio de Portugal in Porto über 350 km. Sein 412 (Startnummer 31) war jetzt zweifarbig, Grundfarbe wahrscheinlich rot, mit einem dunkleren Bereich auf der Front- und Heckhaube. Über die Farbe dieses Bereichs kann man angesichts fehlender (?) Farbfotos vom Original nur mutmaßen (dunkelrot, dunkelblau, schwarz?). Die Aero-Kopfstütze des Mille Miglia-Autos fehlte nun.
Auch hier gab es ein schönes Modell von „Alfa Model 43“, das ebenfalls auf der Webseite „carmodel“ abgebildet ist, allerdings dürfte das Blau angesichts der SW-Fotos von 1951 zu hell sein. Es gab von diesem Modellhersteller auch eine Variante, die vollständig rot lackiert ist und keine Startnummer hat (angeblich von 1952). Dazu fehlen mir allerdings entsprechende Fotos vom Original. 1953 verkaufte Bonetto seinen 412, das Auto wurde dann noch einmal 1958 in einer Mailänder Werkstatt gesichtet. Danach wurden Chassis und Motor getrennt, und ansonsten wird die weitere Geschichte widersprüchlich erzählt, das soll hier auch nicht thematisiert werden. Teilweise finden sich Anhaltspunkte auf der Webseite „velocetoday“.
Tipo 412 (412152): Den zweiten Touring-412 von 1939 erwarb Willy-Peter Daetwyler aus der Schweiz im Mai 1949. Bis 1952 fuhr er mit dem Alfa mehrere Rennen in der Schweiz – Rundstrecken- und Bergrennen, aber keine Langstreckenrennen. Mehrfach siegte er beim Preis von Bern auf dem Bremgarten-Kurs. Für Le Mans 1952 lag eine Meldung des 412 mit Daetwyler und de Graffenried vor, das Auto erschien aber nicht zur Veranstaltung. Einzelne Quellen erwähnen, dass der V12 in einigen Rennen auch mit Kompressor ausgestattet war. Der Daetwyler-412 erschien meist in den Schweizer Nationalfarben in roter Lackierung mit weißer Motorhaube. Schöne 1/43-Modelle gab es von Styling (BBR) und Alfa Model 43.
Für die Saison 1953 erhielt Daetwylers 412 bei Michelotti eine neue, flachere Karosserie, bei der die Kotflügel abnehmbar waren. So konnte der Sportwagen in einen Rennwagen mit freistehenden Rädern verwandelt werden – ideal für Bergrennen. Damit gewann Daetwyler 1953 und 1954 u.a. die Preise von Bremgarten. Das Auto steht heute (2024) im Musée National de l´Automobile, Collection Schlumpf, in Mulhouse (Elsass). 1/43-Modelle sind mir nicht bekannt.
Modelle des Vignale-412 (Bonetto) in 1/43
Mille Miglia 1951: „FB Modelli“ (FB04, Resine-Bausatz), sowie „Top Model“ (Resincast-Fertigmodell)
Gran Premio de Portugal 1951: Alfa Model 43 (Kleinserien-Fertigmodell)
Das Kleinserien-Fertigmodell des Rennens in Portugal kenne ich nur von Fotos, daher wird hier nicht näher darauf eingegangen. Die beiden Modelle der Mille Miglia-Version (1951) von FB Modelli und Top Model wurden bereits in den 1990er Jahren oder früher produziert. Die Karosserie ist bei beiden Modellen in ihren Abmessungen und Proportionen etwa gleich. Der FB-Bausatz hat – nicht überraschend – die bessere Ausstattung mit Ätzteilen (z.B. für die vorderen Grills) und sehr schöne Speichenfelgen, das preisgünstigere Resincast-„Top Model“ ist da deutlich simpler.
Die Beschreibung des 1/43-Bausatzes von FB Modelli beginnt an dieser Stelle bereits mit einem Resümee. Zunächst ist festzuhalten, dass sich in den letzten drei Jahrzehnten leider kein Hersteller entschlossen hat, ein aktuelles Modell zu entwickeln, und es ist auch zukünftig wenig wahrscheinlich, dass der Vignale-412 in einer Qualität neu aufgelegt wird, die wir heute z.B. bei Spark gewohnt sind. Das ist umso bedauerlicher, weil das FB-Modell (ebenso wie das Top Model-Auto) einen gravierenden Fehler aufweist: Es ist deutlich zu kurz geraten, wodurch auch die Karosserielinie und die Proportionen empfindlich gestört sind. Der Radstand bringt es an den Tag: Beim Vignale-Auto lag er bei 2,75m, in 1/43 sind das 6,4cm. Beim FB-Modell beträgt der Radstand dagegen nur 5,4cm, ein Unterschied von 10mm bzw. von über 15% im Maßstab 1/43 oder umgerechnet von über 40cm im Original. Das ist nicht zu tolerieren und auch optisch nicht zu übersehen, zumal die Breite des Modells wohl korrekt ist.
Tatsächlich existiert ein Alfa Romeo mit allen Attributen der Vignale-Karosserie, aber völlig anderen technischen Merkmalen und Abmessungen, der pikanterweise auch den Namen „412 Vignale“ trägt. Dieses Auto wurde in den 1990er Jahren mit der Technik des Alfa 6C 2500SS aufgebaut, wird also nicht vom V12 des Original-412 angetrieben. Es hat einen kürzeren Radstand und ist rot lackiert (siehe Webseite „classicdriver“). Die obere Karosserielinie dieses Autos ist nach oben gewölbt (konvex)1, so wie auch bei den beiden hier genannten 1/43-Modellen, und sie unterscheidet sich deutlich von der gestreckten Linie des originalen Bonetto-412 bei der Mille Miglia. War dieses später entstandene Fahrzeug etwa das Vorbild für die Modelle von FB oder Top Model???
Jedenfalls: Sollte diese Information dem Leser ausreichen, von einem Erwerb des FB Modelli-Bausatzes abzusehen, kann er sich die folgenden Ausführungen gern ersparen und überlegen, ob er auf den Mille Miglia-412 in seiner Modellsammlung ganz verzichten und doch noch auf ein neues, korrektes 1/43-Modell warten will.
Der Bausatz besteht aus zwei Resine-Gussteilen: Karosserie und Bodenplatte plus Sitze. Dazu die Auspuffanlage (Metallguss), Speichenfelgen plus Reifen, Kleinteile für die Lichteinheiten, Lenkrad, Ätzteile (u.a. für die Frontgrills, den Scheibenrahmen und die seitlichen Lüftungsöffnungen), sowie Decals (Startnummern und Kennzeichenschilder). Der Guss der Karosserie ist sauber, allerdings sind die Fugen (Hauben, Türen) relativ grob geraten – das konnten die Resine-Marktführer der 1990er Jahre (Provence Moulage, Starter) bereits besser.
Der 412 kam 1951 unlackiert zur Mille Miglia. Eine unlackierte Alu-Karosserie ist bei einem Resine-Gussteil allerdings kaum korrekt darstellbar, eine Lackierung in alu-silber stellt daher nur eine möglichst gute Annäherung dar.
Pluspunkte sammelt der FB-Bausatz bei den schönen Ätzteilen z.B. für die Frontgestaltung (Scudetto, Baffi), den Kleinteilen für die vier Frontscheinwerfer und den Speichenfelgen. Diese sollten allerdings in Alu-Silber lackiert werden, Chromfelgen gab es in den 1950er Jahren im Rennsport nicht.
Andererseits sind die Reifen zu breit – sie wurden hier durch schmalere Reifen ersetzt. Das Lenkrad ist recht simpel, es wurde gegen ein mehrteiliges Lenkrad aus dem 1/43-Zubehörangebot ausgetauscht. Eine vorgeformte Frontscheibe fehlt leider. Sie muss mit einer planen Folie und mit Hilfe einer beigefügten Schablone sowie vorsichtiger Krümmung selbst hergestellt werden. Und die Startnummern (Decals) haben eine falsche Form, sie müssen also durch Bestände aus dem Reservoir des Modellbauers ersetzt werden, was mit den aktuell käuflichen Decals allerdings nicht korrekt möglich ist. So sind die Ziffern beim hier abgebildeten Modell leider etwas zu groß.
Alles in allem also: Licht und Schatten, und dazu kommt die oben beschriebene grob fehlerhafte Karosserieform. Wer all diese Schwächen also nicht tolerieren mag, muss wohl auf eine wenig wahrscheinliche Ankunft eines Modells in aktueller Qualität warten – schade!
1 Anmerkung zu „konvex“: Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten einer Oberfläche verläuft innerhalb des Körpers, die Linie der Karosserie von vorn nach hinten ist also nach außen (oben) gewölbt.
Quellen
Quentin Spurring, Le Mans The Official History of the World´s Greatest Motor Race, 1930-39, Evro Publ., Sherborne, 2017
Leonardi Acerbi, Mille Miglia – Immagini di una Corsa, A Race in Pictures, Giorgio Nada Editore, Milano, 2015.
Giovanni Lurani, Mille Miglia 1927-1957, Automobile Year, Edita Lausanne 1981
Peter Hull, Alfa Romeo, Introduction by Count Johnny Lurani. Ballantines Illustrated History of the Car, Marque Book No 2, New York 1971.
Luigi Fusi, Alfa Romeo – Tutti le Vetture dal 1910, All Cars from 1910, Emmeti Grafica, Milano 1978.
Christian Schön, Alfa Romeo Rennwagen – Alle Rennfahrzeuge von 1911 bis heute, Heel, Königswinter 2012
Webseiten (u.a.): Racingsportscars / alfaromeomuseum (1/43 Alfa-Modelle) / carmodel / classicvirus / velocetoday / carrozzieri-italiani / zwischengas
Bei dem im Artikel gezeigten Modell des Alfa 8C 2900 B Le Mans Berlinetta 1938 kann es sich eigentlich nicht um das Minichamps-Modell handeln: Dieses hat einen anderen Farbton (dem Original entsprechend mehr braunrot/ mauve), schlechtere Details (unschöne Kunststoff-Speichenräder, Seitenfenster fälschlich als geöffnete Kurbelfenster dargestellt, plumpe Wischer aus verchromten Plastik, Lederriemen der Haube nur aufgedruckt, Lackierung insgesamt zu fett und die feineren Konturen „verschluckend“, Lüftungsschlitze der Haube nicht mattschwarz dargestellt). Falls es sich, wie zu vermuten, um ein anderes Modell handelt, mit welchem Hersteller hat man es hier zu tun? Dass man dem Minichamps-Modell durch Nachbesserungen derart auf die Sprünge verhelfen kann, ist kaum vorstellbar.
Lieber Herr Kirsch,
ich hatte das Minichamps-Modell tatsächlich komplett zerlegt, neu lackiert, und zwar in dem helleren Rot vom Einsatz in Le Mans, das sich vom heutigen braunrot unterschied. Dazu kamen spezielle Speichenräder von BBR (lackiert in alu nach dem Vorbild des Le Mans-Autos) und mehrere kleine Veränderungen. Die Basis ist aber tatsächlich das Minichamps-Modell, das in seinen Grundabmessungen und in der Karosserielinie durchaus korrekt ist. Das Le Mans-Auto sah im übrigen in vielen Details anders aus als das heutige Auto aus dem Alfamuseum.
Freundliche Grüße aus Kiel,
Hayo Herrmann
Großes Kompliment, eine überaus gelungene Verfeinerung des in mehrfacher Hinsicht nicht wirklich befriedigenden Minichamps-Modells! Ich habe die Modellbasis in Ihrem Umbau tatsächlich nicht wiedererkannt und hatte ein redaktionelles Versehen vermutet. – Das Originalfahrzeug sah ich einmal im Jahr 2010 auf der Bremen Classic Motorshow. Damals hatte Alfa einige Preziosen aus dem Werksmuseum anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Firma nach Bremen entsandt, darunter auch die Urversion des 33.2 Stradale und einen Disco Volante.