Vincenzo Lancia (1881-1937), berühmter Rennfahrer der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und Ingenieur, gründete die Firma Lancia im Jahr 1907. Nach seinem frühen Tod 1937 (Herzinfarkt) übernahm der älteste Sohn Gianni das Unternehmen und führte es bis 1955, als Lancia aufgrund finanzieller Probleme die Selbständigkeit verlor.
1949 engagierte Gianni Lancia Italiens berühmtesten Konstrukteur Vittorio Jano als Entwicklungschef seiner für technische Leckerbissen gerühmten Firma. Sein erster Entwurf für Lancia war die Aurelia Limousine, der 1951 die Sportversion Aurelia B20 folgte. Mit ihrem Zweiliter-V6-Motor, unabhängiger Radaufhängung vorn und hinten, Transaxle-Bauweise, innenliegenden Trommelbremsen und einer wunderschönen Pininfarina-Karosserie begründete die Berlinetta zusammen mit dem Aston Martin DB2 die Tradition der „Gran Tourismo“-Kategorie. Die Aurelia B20 war eine der modernsten Neukonstruktionen der 1950er Jahre und eine gute Basis für den Sporteinsatz.
1951 entsprachen die Rennsport-Aurelias noch weitgehend der Serie, mit 83 statt 75 PS Leistung waren sie aber schon aus dem Stand erfolgreich. Insbesondere der Platz zwei im Gesamtklassement der Mille Miglia mit Bracco und Maglioli am Steuer war für einen fast serienmäßigen 2-Liter-GT erstaunlich. Und in Le Mans schaffte man auf Anhieb den Klassensieg. Für 1952 bauten man sieben „Competizione“ Versionen (auch „da Corsa“ genannt), mit flacherer Dachlinie, Plexi-Scheiben und Alu-Karosserie und einer Leistungssteigerung auf 106 PS – immer noch moderat im Vergleich zur Konkurrenz. Felice Bonetto schaffte mit dem Gesamtsieg bei der Targa Florio den ersten großen international beachteten Erfolg, zwei weitere Aurelias komplettierten das Podium. Bei der Mille Miglia kam Altmeister Fagioli auf Platz drei, und bei der Carrera Panamericana schafften Maglioli und Borniglia Platz vier mit einem etwas größeren (2,5 Liter) und per Kompressor aufgeladenen Motor, der 150 PS erreichte. Die Plätze sechs und acht in Le Mans (wieder mit Klassensieg) rundeten eine tolle Rennsaison ab. 1953 folgten weitere gute Platzierungen der „Aurelia B20 GT da Corsa“, die nun in Privathand eingesetzt wurden und z.T. mit 2,5 Liter-Motoren ausgestattet waren, z.B. Platz zwei beim Giro di Sicilia oder Platz vier bei der Targa Florio.
Für die Sportwagen-WM 1953 entwickelte Vittorio Jano dann auf dieser Basis einen Vollblut-Rennsportwagen, den D20, mit einem 3-Liter-V6-Motor und vier Nockenwellen, Anfangs ca. 220, später 240 PS und einer Berlinetta-Karosserie von Pininfarina. Die Transaxle-Bauweise (Getriebe mit dem Differenzial an der Hinterachse), innenliegende Trommelbremsen vorn und hinten und unabhängige Radaufhängung hinten waren weitere technische Leckerbissen des großen Konstrukteurs. Vier D20 wurden gebaut. Beim Debut, der Mille Miglia, schaffte man immerhin einen guten dritten Platz, dann folgte ein Sieg bei der Targa Florio. Dagegen wurde Le Mans zum Debakel: Man wechselte hier zu einem kleineren Motor (2,7 Liter) mit Kompressor-Aufladung, damit war man der Konkurrenz allerdings unterlegen, und kein D20 schaffte die Distanz. Die vier D20 wurden in den drei Endurance-Rennen (Mille Miglia, Targa Florio, Le Mans) elfmal eingesetzt, neben den genannten Erfolgen gab es allerdings auch acht Ausfälle.
Nach der Le Mans-Enttäuschung setzte man auf leichtere offene Fahrzeuge: Aus drei der vier D20 Berlinettas entstanden die D23 Barchettas, mit gleichem Radstand, nun aber mit DeDion Hinterachse und natürlich geringerem Gewicht. Beim Debut in Monza (Juni 1953), einem Rennen für Sportwagen bis 3 Liter Hubraum, waren zwei D23 und ein D20 am Start, alle drei in ungewöhnlichem Hellblau lackiert. Ein D23 schaffte da Platz zwei. Bei den weiteren Einsätzen – am Nürburgring und bei der Carrera – fuhren die D23 zusammen mit den neuen D24, alle Lancia waren nun tiefrot lackiert. Ein D23 schaffte in Mexiko Platz drei (Castellotti) hinter zwei D24.
(Anmerkung: GP Monza = Gran Premio dell´ Autodromo Gara Internazionale Monza, für Sportwagen bis 3000ccm Hubraum, 2 Läufe mit zusammen 441 km; Sieger: Villoresi, Ferrari 250MM Berlinetta)
Der D24 stellte die dritte Entwicklungsstufe innerhalb einer Rennsaison dar – es herrschte Hochbetrieb in der Lancia Rennabteilung, vielleicht eine der Ursachen für die hohe Ausfallquote der Italiener. Der neueste Lancia hatte ein deutlich kürzeres Chassis (2,40m gegenüber 2,60m) und einen 3,3 Liter-Motor mit über 260 PS Leistung. Beim Debutrennen auf dem Nürburgring scheiterte der Neuling noch an mangelnder Rennreife, aber beim letzten Rennen der Saison, der Carrera Panamericana, schaffte Lancia mit den D24 mit etwas zurückgenommener Leistung (3,1 Liter, 230 PS) einen Doppelsieg, und ein weiterer D23 kam wie gesagt dahinter auf Platz drei.
So war man am Ende des Jahres für 1954 gut aufgestellt, aber die Jahresbilanz 1953 war doch eher ernüchternd. Lancia trat nur bei vier der sieben WM-Rennen an, holte einen Sieg (Mexiko), einen zweiten Platz und zwei dritte Ränge, aber zwölfmal fielen die Lancia bei den WM-Rennen aus. In der WM-Wertung lag man damit nur auf Platz vier. Auf der Habenseite stand der erneute Erfolg bei der Targa Florio, dieses Mal mit dem D20.
Im folgenden Jahr konzentrierte man sich bei Lancia auf den Typ D24. Er wurde in drei der sechs WM-Rennen eingesetzt (zusammen 10 Einsätze), holte einen Sieg mit Ascari bei der Mille Miglia, zwei zweite Plätze (Sebring, Tourist Trophy) und einen dritten (Tourist Trophy) – Ergebnis: Platz zwei in der WM-Wertung, allerdings deutlich hinter Ferrari. Dem standen wieder viele Ausfälle (acht) gegenüber, und die Meldung dreier Fahrzeuge in Le Mans wurde komplett zurückgezogen. Ascaris Mille Miglia-Sieg war wohl der wichtigste Sieg eines Lancia in den beiden Sportwagen-Saisons 1953/54, und hinzu kam erneut ein Sieg bei der Targa Florio, nun mit dem D24 – man schaffte also auf Sizilien einen Hattrick mit den Erfolgen 1952/53/54.
Einen weiteren Hinweis auf die nicht immer konsistente Strategie des Lancia-Rennbetriebs lieferte der Einsatz von zwei neuen „D25“ bei der Tourist Trophy am Ende der Saison 1954, nunmehr mit knapp 3,8 Litern Hubraum und entsprechend höherer Leistung (über 300 PS). Es handelte sich dabei um umgebaute D24, allerdings mit etwas kürzerem Radstand. Da war eigentlich schon klar, dass sich Lancia Ende 1954 und 1955 voll auf die Entwicklung und die Einsätze des neuen D50-Formel 1-Rennwagens zu konzentrieren hatte. Folgerichtig stieg man Ende 1954 nach dem einzigen Einsatz der beiden D25 aus der Sportwagen-Szene aus – oder doch nicht ganz: Es gibt eine Quelle (FCA Heritage), die darauf hinweist, dass Lancia einen D25 für seinen Starpiloten Ascari speziell für die Carrera Panamericana 1955 vorbereiten wollte. Dieser Plan konnte nicht realisiert werden, da Ascari im Mai 1955 in Monza bei einer Ferrari-Testfahrt tödlich verunglückte und die Carrera 1955 ohnehin abgesagt wurde. Der für 1955 entwickelte D25, der gegenüber dem Auto der Tourist Trophy 1954 eine geänderte Frontpartie aufwies, blieb ohne Renneinsatz und ist heute im Besitz von Lancia (Lancia Museum). Nachdem das Sportwagen-Programm beendet war, wurden fast alle Autos zerstört, nur wenige haben überlebt, darunter jeweils ein D23, ein D24 und der eben genannte D25. Unvergessen bleibt aber das sensationelle Aufgebot von Weltklassepiloten: Fangio, Gonzalez, Castellotti, Taruffi, Maglioli, Bonetto, Bracco, Biondetti, Chiron, Manzon im Jahr 1953, sowie Fangio, Ascari, Taruffi, Castellotti, Villoresi, Manzon im Jahr 1954.
Gianni Lancias Ambitionen 1952-1955 bei den Sportwagen und danach in der Formel 1 bescherten ihm einige heute noch berühmte Erfolge (Mille Miglia, Targa Florio, Carrera Panamericana), aber die immensen Kosten brachten sein Unternehmen auch an den Rand des Bankrotts. Er musste Lancia verlassen, und um die Insolvenz des Unternehmens zu verhindern, wurde das komplette Grand-Prix-Programm an Ferrari übergeben. 1956 fuhr Juan Manuel Fangio mit einem weiter entwickelten Lancia-Ferrari D50 zur Formel-1-Weltmeisterschaft. Lancia überlebte und kehrte viele Jahre später mit den erfolgreichen Rallye-Fahrzeugen (Fulvia, Stratos, Delta) und den Sportwagen Beta Montecarlo, LC1 und LC2 (1979-1986) zum Rennsport zurück – aber das ist eine andere Geschichte.
Die Renneinsätze der Typen D20, D23, D24 und D25 in den beiden Jahren 1953 und 1954, insbesondere in Langstreckenrennen, sind einer Übersicht zu entnehmen, die hier aufgerufen werden kann.
Technische Daten des D20: Motor vorn, V6 Zylinder, Alu-Block und Kopf, 86x85mm =2962ccm Hubraum, 2 OHC, 2 Ventile/Zylinder, 3 Doppelvergaser, Doppelzündung, Anfangsleistung 220 PS, später 240 PS. In Le Mans: 82x85mm =2693ccm Hubraum, Kompressor. 4-Gang-Getriebe hinten (Transaxle-Bauweise). Gitterrohrrahmen, unabhängige Radaufhängung hinten (D23: De Dion Achse), Trommelbremsen vorn und hinten innenliegend (nicht beim D25), Radstand 2600mm, Gewicht D23: 850 kg, Berlinetta-Karosserie von Pininfarina (D23: offene Version).
Abweichende Daten des D24: 88x90mm =3248ccm Hubraum, 260 PS, De Dion Hinterachse, Radstand 2400mm, offener Sportwagen.
Modelle in 1:43: (DC = Diecast, RC = Resincast, BS = Bausatz, FM = Kleinserien-Fertigmodell) (Nennung der Hersteller ohne Angabe über aktuelle Verfügbarkeit, Stand 2022)
Aurelia B20 GT Berlinetta (1951): FDS (alter Metallbausatz), Brumm (DC)
Aurelia B20 GT da Corsa (1952): Spark (RC), Jolly Models (RC), Tecnomodel (FM, BS), Provence Moulage (BS)
D20 Berlinetta (1953): Spark (RC), Gamma (RC), Starline (DC), Tecnomodel (FM, BS), BBR (FM) (sowie älterer Metallbausatz von VdeC/John Day)
D23 Barchetta (1953): Gamma (RC), Provence Moulage (BS)
D24 Barchetta (1953/54): Top Modell Coll. (RC), Brumm (DC), Starline (DC), Provence Moulage (BS), Tecnomodel (FM, BS), Meri (BS) sowie ältere Modelle: John Day (BS), Mercury (DC)
D25 Barchetta (1954) – kein Modell bekannt / Prototyp 1955: Jolly Models (RC)
Empfehlenswert sind die Resincast-Modelle von Spark (B20 GT, D20, Beschreibungen der Spark-Modelle auf der „auto-und-modell“-Webseite, dort im Archiv), die Resine-Bausätze von Provence Moulage (B20 GT, D23, D24, sofern noch lieferbar) und die – allerdings recht teuren – Kleinserien-Modelle von Tecnomodel (B20 GT, D20, D24). Ein aktuell noch lieferbares Resincast-Modell des D24 stammt von Top Model, es bedarf allerdings noch diverser Verbesserungen, insbesondere besserer Speichenräder. Außerdem ist die Kühlöffnung (Front) zu klein. Ein Resincast-Modell aktueller Qualität (Spark?) wäre sehr willkommen.
Bei den hier gezeigten 1:43-Modellen (D20 und D23: Provence Moulage, D24: Top Model und John Day) werden die deutlich unterschiedlichen Radstände (2,60m beim D20 und D23; 2,40m beim D24, das sind in 1:43 immerhin ca. 4,5mm) kaum berücksichtigt. Radstände der Modelle (umgerechnet, also Modellmaß mal 43): D20 (Provence Moulage) 2,50m / D23 (Provence Moulage) 2,54m / D24 (John Day) 2,45m / D24 (Top Model) 2,47m
Quellen:
Mike Lawrence, Directory of Classic Sportsracing Cars, Aston Publications, 1988 / Quentin Spurring, Le Mans The Official History of the World´s Greatest Motor Race, 1949-59, Haynes Publ., Sparkford 2011 / Daryl E. Murphy, Carrera Panamericana – History of the Mexican Road Race 1950-1954, Motorbooks International, 1993 / Paul Parker, Sportscar Racing in Camera 1950-1959, Haynes Publishing, 2010
Webseiten (u.a.): lm24database (1:43-Modelle in Le Mans) / racingsportscars / ultimatecarpage / targapedia