„Der Glanz, der in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren auf die Produkte der Daimler-Benz AG fiel, ist in erheblichem Maß auf die Erfolge der legendären Kompressor-Sportwagen S, SS und SSK zurückzuführen. Noch heute profitiert die Marke Mercedes-Benz … von der Strahlkraft dieser einmaligen Boliden“ (siehe Webseite: mbpassion, 2022/01).
Die Autos der „S-Reihe“ erzielten zahlreiche Siege bei den traditionellen deutschen Rennen auf dem Nürburgring oder der Avus und bei wichtigen internationalen Klassikern wie der Mille Miglia, den 24 Stunden von Spa oder der Tourist Trophy. Der SSK war darüber hinaus der erfolgreichste Rennwagen bei den damals sehr beliebten Bergprüfungen. Und natürlich sind die Erfolge ganz entscheidend mit dem damals besten deutschen Rennfahrer verbunden: Rudolf Caracciola.
Die großen Mercedes-Siege bei Rennen in Deutschland, insbesondere beim Großen Preis auf dem Nürburgring (1927 und 1928 veranstaltet für Sportwagen) und bei den Bergrennen, führten dazu, dass die „S-Reihe“ heute als die erfolgreichste Reihe deutscher Sportwagen vor dem Krieg gilt. Hinzu kommt, dass die Chassis nicht nur die Basis für den Rennbetrieb sondern auch für sportliche Luxusfahrzeuge bildeten, die von ihren privilegierten Besitzern auf den Straßen des Reichs und in Europa bewegt werden konnten – sofern man sich diese sündhaft teuren Autos leisten konnte.
Auf internationaler Ebene stellt sich die Bilanz der Jahre 1927-1931, in denen die Typen S, SS, SSK und SSKL auf Rennkursen eingesetzt wurden, allerdings etwas nüchterner dar – nicht zuletzt aufgrund der nur sporadischen Einsätze des Werksteams rund um Rennleiter Alfred Neubauer außerhalb der Reichsgrenzen, die im Wesentlichen auch erst ab 1929 erfolgten. Die dominierenden Sportwagen dieser Jahre kamen nicht aus Untertürkheim sondern aus Portello – Mailand statt Stuttgart. Alfa Romeos Sechs- und Achtzylinder gewannen in diesen Jahren elf der knapp 30 wichtigen Sportwagenrennen Europas (1siehe unten) – bei der Mille Miglia, in Spa und Brooklands und ab 1931 in Le Mans. An zweiter Stelle folgte Bentley mit sieben Siegen, darunter vier in Serie in Le Mans und weitere in Brooklands, dann folgte erst an dritter Stelle Mercedes-Benz mit vier großen Erfolgen:
August 1929, Tourist Trophy, Sieger Caracciola, Mercedes-Benz SS, Startnr. 70
Juli 1930, Irish Grand Prix, Sieger Caracciola, Mercedes-Benz SSK, SN 3
April 1931, Mille Miglia, Sieger Caracciola (mit Sebastian), Mercedes-Benz SSKL, SN 87
Juli 1931, 24 Stunden von Spa, Sieger Zehender-Djordjadze, Mercedes-Benz SSK, SN 2
Tourist Trophy 1929: 30 Runden je 22 km = 660 km, Rundkurs bei Ards (Nordirland), Rennen mit Handicap-Reglement. Wichtige Gegner: Mercedes-Benz SS und S, Alfa Romeo 6C, Bentley Speed Six und Blower, Bugatti. Bei starkem Regen begründet Caracciola seinen Ruf als „Regenmeister“ und gewinnt das Rennen überlegen gegen starke Konkurrenz. Otto Merz im zweiten Werks-SS (Nr. 71) wird Zweiter, aber nachträglich disqualifiziert (unerlaubte Manipulation der Karosserie).
Irish Grand Prix 1930: 70 Runden je 6,8 km, 483 km, Rundkurs im Phoenix Park, Dublin. Drei SSK, gemeldet von Malcolm Campbell und dem Werk, Piloten Campbell (Platz 5), Howe (Platz 3) und Caracciola (Sieger). Wichtige Gegner: drei Bentley Blower, drei Alfa Romeo 6C (Platz 2), Talbot, OM, Sunbeam.
Mille Miglia 1931: 1644 km durch Italien. Zweiter Start von Caracciola mit Mercedes-Benz SSKL nach 1930 (SSK, Caracciola-Werner, SN 128, Platz 6). Wichtige Gegner: Alfa Romeo 6C 1750 und 8C 2300, Maserati, OM, Mercedes-Benz SSK. Caracciolas Sieg wurde durch Reifenprobleme beim neuen Alfa Achtzylinder begünstigt, der bei der Mile Miglia sein Renndebut feierte.
1 Die wichtigsten internationalen Sportwagenrennen über längere Distanzen der Jahre 1927 bis 1931 waren: Mille Miglia ab 1927; Le Mans ab 1923; 24 Std. von Spa ab 1924; Brooklands 6 bzw. 12 Std. sowie 500 bzw. 1000 Meilen, „Double Twelve“ ab 1929, Rennen teilweise mit Handicap-Regel; Irish GP 1929-1931; Tourist Trophy jährlich ab 1928, z.T. als Handicap-Rennen.)
Berichte 1, 2 und 3
Zur „S-Serie“ von Mercedes-Benz und zu den Starts in Le Mans 1930-1932 sowie zu den Modellen in 1/43 können hier auf der Minerva-Webseite drei Berichte aufgerufen werden.
Der folgende Bericht 1 befasst sich mit der Entwicklungsgeschichte der S-Serie vom Typ „K“ bis zum „SSKL“. Ein weiterer Bericht 2 hat die Auftritte der Mercedes-Benz Rennsportwagen in Le Mans und speziell die Starts des „SS“ in den Jahren 1930-1932 zum Thema, und der Bericht 3 liefert zunächst eine Liste der 1/43-Modelle der Rennsport-Versionen dieser Autos und beschreibt dann vier 1/43-Modelle: Typ „SS“, Le Mans 1930, Bausatz von MCM und Le Mans 1931, Resincast-Modell von Spark (ab Herbst 2024 im Handel); Typ „SSK“, GP Irland 1930, Basis: Diecast-Modell von Solido; Typ „SSKL“, Mille Miglia 1931, Basis: Diecast-Modell von Solido.
Vom „K“ zum „SSKL“ – Die Geschichte der „S-Serie“ von Mercedes-Benz
1920-1922: Mercedes unter Druck
Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden bei Mercedes Versuche aufgenommen, die Leistung von Automotoren durch Kompressor-Aufladung zu steigern. Bereits 1916 hatte man unter der Leitung von Chefingenieur Paul Daimler mit der Entwicklung von Flugmotoren mit Kompressor begonnen. 1918 schaffte man mit einem Roots-Gebläse eine zufriedenstellende Lösung. Nach den Restriktionen des Versailler Friedensvertrags, die Deutschland die Produktion von Flugmotoren untersagten, ging man nun daran, die bei der Entwicklung der Kompressortechnik gewonnenen Erkenntnisse für Automotoren zu nutzen.
Zum ersten Einsatz kam der Kompressor bei zwei relativ kleinen Vierzylindern (1,6 bzw. 2,6 Liter Hubraum), deren Konzeption vom Flugmotorenbau inspiriert war, sowie bei einem größeren 7,3 Liter-Wagen (Typ 28/95). Vorgestellt wurden die Autos auf der Berliner Automobilausstellung im September 1921, die Serienproduktion lief aber erst im Frühjahr 1923 an. Damit war die Kompressor-Ära bei Mercedes eingeläutet, deren spätere erste Höhepunkte die Modelle der „S-Serie“ 1927-1931 darstellten.
Ein erster internationaler Renneinsatz von Mercedes-Sportwagen mit Kompressor-Technik folgte im April 1922 bei der Targa Florio. Mercedes kam mit einem Großaufgebot von sieben Autos nach Sizilien, vier Autos mit bewährter Saugmotortechnik (darunter der Siegerwagen) und drei neue Kompressor-Wagen: Das oben genannte 7,3 Liter-Auto mit knapp 100 PS und einer Leistungssteigerung durch den Kompressor auf ca. 140 PS und zwei 1,5 Liter-Autos in der Tourenwagenklasse – hier stieg die Leistung von 54 auf 82 PS. Es war der erste Einsatz aufgeladener Rennwagen in Europa.
1923/24: Ferdinand Porsche übernimmt
1922 verließ Paul Daimler die von seinem Vater gegründete Firma und ging zu Horch. Als sein Nachfolger bei Daimler wurde 1923 Ferdinand Porsche engagiert, der von Austro-Daimler nach Stuttgart kam.
1923 trat Mercedes mit drei Kompressor-Rennwagen in Indianapolis an, auch dort waren es die ersten Autos, die mit Aufladung fuhren. In Europa übernahm Fiat im selben Jahr die neue Technik für seinen 805/405 Grand Prix Rennwagen, und 1924 fuhren bereits die wichtigsten Konkurrenten in der Grand Prix Szene (Alfa Romeo, Delage, Sunbeam) mit Kompressor-Rennwagen. Der von Porsche entwickelte Achtzylinder-Rennwagen mit Kompressor war in seinem ersten Einsatzjahr dagegen noch nicht aussortiert. Dennoch erzielte Mercedes 1924 noch einen großen Erfolg: Christian Werner holte mit einem aufgeladenen Mercedes 2-Liter Vierzylinder den Sieg bei der Targa Florio.
1924 entwickelte Porsche zwei leistungsstarke und luxuriöse Tourenwagen, angetrieben von modernen Sechszylindermotoren mit obenliegender Nockenwelle, Doppelzündung und zuschaltbarer Kompressor-Aufladung, mit 4,0 bzw. 6,3 Litern Hubraum. Das neue Mercedes-Topmodell „24/100/140 PS“ wurde Ende 1924 auf der Ausstellung in Berlin gezeigt und ab 1925 produziert. (Anmerkung: Neben den Steuer-PS, die ein Maß für den Hubraum des Motors darstellten, und der Motorleistung ohne Aufladung wurde als dritte Zahl die Leistung mit eingeschaltetem Kompressor angegeben.)
1926: Vom „Mercedes 24/100/140“ zum „Mercedes-Benz Modell K“
Mit der Fusion der beiden Firmen Daimler und Benz 1926 hießen die Autos des neuen Verbunds „Mercedes-Benz“. Der neue 6,3 Liter-Kompressorwagen erhielt eine sportliche Variante mit auf 3,40m reduziertem Radstand. Er erhielt den Namen „Mercedes-Benz Modell K“ („K“ für kurz) und verfügte nun über 110 PS ohne bzw. 160 PS mit Kompressor. 1926 entstand eine kleine Serie des „K“, die noch im selben Jahr werkseitig und in Händen betuchter Privatfahrer in Rennen eingesetzt wurde. Die neuen Sechszylinder-Kompressorwagen ebneten der neuen Technologie endgültig den Weg in die Serienproduktion, außerdem bildeten sie die konstruktive Basis der legendären „S-Serie“.
1927: Vom „Modell K“ zum „Modell S“
Für das Jahr 1927 wurde auf Basis des Modells „K“ ein leistungsfähiger Sportwagen geschaffen: Das „Modell S“ (S=Sport). Mit einem neuen, tiefergelegten Chassis entstand aus einem recht hochbeinigen „K“ ein eleganter, langgestreckter Sportwagen. Der Motor (Typ „M06“) wurde ebenfalls überarbeitet: Der Hubraum wuchs auf 6,8 Liter und die Leistung auf 180 PS mit Kompressor, bei Werkseinsätzen, z.B. beim Großen Preis für Deutschland für Sportwagen auf dem neuen Nürburgring (Sieger Otto Merz) auf ca. 220 PS. Der Mercedes-Benz S war bärenstark, wog aber auch knapp 2 Tonnen – es war der erste der „Weißen Elefanten“.
Ausgewählte Daten: Reihensechszylinder „M06“ mit Roots-Kompressor (zuschaltbar), OHC-Ventilsteuerung, Nockenwelle angetrieben über Königswelle. 2 Vergaser. 98x150mm = 6789ccm Hubraum, Leistung als Saugmotor 120 PS (3000 U/min), mit Kompressor 180 PS. 4 Gänge. Spitze ca. 170 km/h. 4 Sitze, Länge 4,70m. Gebaute Stückzahl 146.
1928-1930: Vom „Modell S“ zum „SS“ und zum „SSK“
Für die Saison 1928 wurde der Motor auf 7069 ccm vergrößert, mit einer Anfangsleistung für den Privateinsatz von 140 PS (ohne Aufladung) bzw. 200 PS (mit Aufladung) bei 3300 U/Min. Beim neuen „SS“-Tourenwagen für den „Herrenfahrer“ wurde die Karosserielinie gegenüber dem „Modell S“ aus Komfortgründen wieder etwas erhöht, aber für die Sporteinsätze baute man die neue Antriebseinheit in den alten, flacheren „S“ ein. Gleichwohl wurden auch die Rennsportwagen nun „SS“ genannt – genau genommen waren es Autos vom Typ „S“ mit dem Motor/Getriebe des „SS“. Die Motorleistung des „SS“ stieg in den Einsatzjahren bis 1931 auf 225 oder 250 PS (aufgeladen), in Einzelfällen sogar darüber, z.B. bei Berg- oder Sprintrennen. Dort lief der Kompressor permanent mit.
Parallel zum „SS“ mit vier Sitzen und langem Radstand (3,40m) entstand der „SSK“ („K“ für kurz) als Zweisitzer mit einem Radstand von 2,95m. Der „SSK“ war um ca. 400 kg leichter als der „SS“ und ursprünglich für die damals beliebten Bergprüfungen vorgesehen, er wurde dann aber auch bei Rundstreckenrennen eingesetzt, sofern das Reglement nicht vier Sitze vorschrieb (so, wie es in Le Mans der Fall war). Der „SSK“ war sicherlich der populärste und heute noch am meisten bewunderte Sportwagen der „S-Reihe“. Heute befinden sich mehr als die ursprünglich gebauten 33 „SSK“ (geschätzt über 100) in einschlägigen Museen und Sammlungen oder nehmen an entsprechenden Veranstaltungen teil, darunter viele, die auf Basis anderer Fahrzeuge der „S-Reihe“ entstanden sind oder rekonstruiert wurden.
Die Modelle „SS“ und „SSK“ stellten die letzten Arbeiten von Ferdinand Porsche bei Daimler-Benz dar, der Professor verließ das Werk im Herbst 1928.
1931: Der „SSKL“ – Krönung und Abschluss der „S-Serie“
Die letzte Entwicklungsstufe der „S-Serie“ war ausschließlich für den Einsatz im Motorsport vorgesehen. Dafür entstanden im Werk eine Handvoll „SSKL“ (L=Leicht), die mit ca. 1350 kg nochmals um über 100 kg leichter waren als der reguläre „SSK“. Die Leistung stieg auf bis zu 300 PS mit Kompressor-Aufladung, wobei der Kompressor nun wohl meist ständig mitlief. Der Unterschied zum „SSK“ ist vor allem anhand der Bohrungen in den Längsholmen im Bereich zwischen Motorraum-Rückwand und Hinterachse sichtbar. Die Werksmannschaft wurde Ende 1930 in der Folge der allgemeinen Wirtschaftskrise aufgelöst, stattdessen schloss man einen Vertrag zwischen dem Werk, dem Rennleiter Alfred Neubauer und dem Chefpiloten Caracciola über den Einsatz eines „SSKL“ in der Saison 1931 ab. Alle weiteren Starts des neuen Spitzenmodells lagen in privater Hand, im folgenden Jahr fuhr z.B. Hans Stuck den „SSKL“, später auch Manfred von Brauchitsch. Sportlicher Höhepunkt der Einsätze war natürlich der Gesamtsieg bei der Mille Miglia 1931 mit Caracciola am Steuer und Sebastian als Kopilot.
In der Zeit nach 1931 orientierte sich Daimler-Benz bei seinem Programm sportlicher Autos und Rennfahrzeuge komplett neu. Einerseits hatte die „S-Reihe“ das Ende ihrer Entwicklung erreicht und traf mittlerweile auf leichte und technisch weiter entwickelte Konkurrenten, vor allem auf die ab 1931 eingesetzten neuen Achtzylinder-Modelle von Alfa Romeo. Bei den für den Straßenbetrieb vorgesehenen Sportwagen trat nun sportliche Eleganz in den Vordergrund: Der Typ „500K“ wurde ab 1934 zum neue Spitzenmodell, das sportliche Leistung mit Komfort und Luxus verband und nicht für die Rennstrecke geeignet war. Und im Motorsport wurde 1933 der Einstieg in die Grand Prix-Szene vorbereitet, in der ab 1934 die neue 750 kg-Formel galt. Der neue Grand Prix-Wagen „W25“ war aber anders als die Autos der „S-Reihe“ ein reiner Renn-Spezialist ohne Bezug zur Serienproduktion für die Straße.
Der Bericht 2 zum Thema „S-Reihe“ befasst sich zunächst mit den Auftritten von Mercedes-Benz bei den 24 Stundenrennen von Le Mans vor und nach dem Krieg und dann speziell mit den Rennen 1930, 1931 und 1932, bei denen das „Modell SS“ am Start war.
Die Quellen zu den drei Beiträgen zur „S-Reihe“ werden am Ende des Berichts Nr. 3 zu diesem Thema aufgeführt.