Mercedes und die Anfänge des Motorsports, Teil (1)

Bericht in drei Teilen

Teil (1) und Teil (2) dieses Berichts liefern einen Überblick über die Anfänge des Motorsports, insbesondere die Jahre bis 1914, als die wichtigsten Rennen einer Saison Langstreckenprüfungen darstellten und die teilnehmenden Fahrzeuge noch nicht nach Renn- oder Sportwagen unterschieden wurden.

Dabei wird besonders auf die wichtigsten internationalen Erfolge der Mercedes-Rennwagen eingegangen. Am Ende von Teil (2) wird einer der berühmtesten Mercedes-Rennsiege dieser Epoche aufgegriffen – der Dreifachsieg beim französischen „Grand Prix de l´A.C.F.“ im Juli 1914, End- und Höhepunkt der Motorsportgeschichte vor dem Ersten Weltkrieg. Grund genug für John Day, den Pionier der 1/43-Bausatzszene Anfang der 1970er Jahre, als Nummer Eins seiner legendären „Serie 100“ genau den 1914 siegreichen Mercedes auszuwählen. Dieses historische 1/43-Modell wird im Teil (3) in Wort und Bild vorgestellt.

Mercedes Grand Prix Rennwagen 1914, Sieger des Grand Prix de l´A.C.F. (Lautenschlager), Metallbausatz von John Day

Zur Einordnung des Themas

Die Geschichte der Langstreckenrennen für Sportwagen – Thema dieser Webseite – begann streng genommen erst in den 1920er Jahren mit der technischen Trennung zwischen den Rennwagen, z.B. nach der Grand Prix-Formel, und Sportwagen. Und die Kategorie „Sportwagen“ war seit jeher eng mit der Idee der Langstreckenrennen verbunden: Die berühmtesten Sportwagenrennen der letzten 100 Jahre und die wichtigsten Meisterschaften waren häufig Endurance-Prüfungen, angefangen mit den 24 Stunden von Le Mans (ab 1923) und Spa (ab 1924) oder der Mille Miglia (ab 1927) und ab 1953 mit den Rennen zur Sportwagen-Weltmeisterschaft.

Vor dem Ersten Weltkrieg gab es eine solche Trennung im Motorsport nicht. Die Rennen – fast ausschließlich Langstreckenprüfungen über Schotterpisten von Stadt zu Stadt oder auf abgesperrten Straßen über wenige sehr lange Runden – erforderten robuste Fahrzeuge, oft mit Kotflügeln und immer mit zwei Sitzen (Beifahrer war Pflicht), und für die An- und Rückfahrt auf eigener Achse waren sie natürlich ausgestattet mit allen im öffentlichen Verkehr notwendigen Teilen: Aus heutiger Sicht waren es also eher Sport- als Rennwagen. Der berühmte Motorsport-Historiker und Autor Cyril Posthumus beschreibt in seinem Buch „Classic Sports Cars“ (Hamlyn, 1980) beispielhaft den Einsatz des Mercedes „60 PS“ beim berühmten Gordon-Bennett Rennen in Irland 1903, das Camille Jenatzy für die Stuttgarter gewann: Der Mercedes war nichts weiter als ein kurzfristig vom Tourenwagen umgebauter „Sportwagen“, der von einem privaten Besitzer ausgeliehen und auf eigener Achse aus Stuttgart nach Irland überführt wurde, dort das Rennen gewann und wieder auf der Straße (und streckenweise mit dem Schiff) ins heimatliche Werk zurückkehrte – wahrlich eine Dauerleistung, die viel eher der Tradition der Endurance-Wettbewerbe als der des Grand Prix-Sports folgte. „When … Camille Jenatzy took a Mercedes 60 to victory in the 1903 Gordon Bennett Trophy race in Ireland, he was driving a direct antecedent of the sports car.“ (Cyril Posthumus, Classic Sports Cars, Hamling Publ. 1980).

Auch in den 1920er Jahren waren die Unterschiede zwischen Grand Prix- und Sportwagenrennen und zwischen den jeweils eingesetzten Fahrzeugen noch relativ klein. Grand Prix-Rennwagen mussten bis 1924 mit Fahrer und Beifahrer besetzt sein, waren also Zweisitzer. Das blieben sie bis 1932, erst mit dem Alfa Romeo P3 (Tipo B) wurde das „Monoposto-Prinzip“ populär. Und die Grand Prix-Distanzen lagen damals meist zwischen 6 und 10 Stunden, es waren also echte „Endurance-Rennen“ – über die Mini-Distanzen der aktuellen Formel 1 hätten die damaligen Piloten und Ingenieure vermutlich nur ein müdes Lächeln übrig gehabt. Der berühmte Alfa Romeo 8C konnte in den 1930er Jahren – wie andere Rennfahrzeuge auch – als Rennwagen, aber nach geringen Umbauten auch als Sportwagen eingesetzt werden, und an der Targa Florio nahmen gleichzeitig Renn- und Sportwagen teil, der Sizilien-Klassiker war also zumindest bis Ende der 1930er Jahre kein reines Sportwagenrennen.

Die Langstreckenrennen der 1920er und 1930er Jahre können tatsächlich als eine historische Fortsetzung der heroischen Prüfungen vor dem Ersten Weltkrieg angesehen werden – es waren entweder reine Straßenrennen (z.B. Mille Miglia) oder Rundstreckenrennen auf Straßenkursen mit meist relativ langen Runden, in Le Mans waren es bis 1931 über 17 km.

Teil (1) Wie fing alles an? Motorsport 1894 bis 1906

Der erste Wettbewerb für selbst fahrende Fahrzeuge („Automobile“) fand 1894 auf der Strecke Paris-Rouen (126 km) statt: Nicht als Rennen, sondern als Vergleich der Gleichmäßigkeit und der Handhabung zwischen höchst unterschiedlichen Fahrzeugkonzepten, u.a. Dampfwagen, Elektromobile und von diversen „Gasmotoren“ angetriebene Autos. Den ersten Preis teilten sich Peugeot und Panhard-Levassor, beide angetrieben von in Lizenz gebauten Daimler-Benzinmotoren nach dem „Otto-Prinzip“ mit ca. 3-4 PS, Durchschnittsgeschwindigkeit 17 km/h. Das erste echte Rennen fand dann ein Jahr später statt: Die Fernfahrt Paris-Bordeaux-Paris ging über knapp 1200 km, eine echte Endurance-Prüfung also. Der Schnellste war Emile Levassor mit einem 4 PS-Panhard, er schaffte mit seinem Beifahrer einen Schnitt von 24 km/h.

Bis 1902 bildeten die Fernfahrten mit Start (und z.T. auch Ziel) in Paris den Höhepunkt des noch spärlichen jährlichen Rennprogramms, ein Hinweis darauf, dass Frankreich damals sowohl bei Konstruktion, Herstellung und Verkauf von Autos als auch beim Automobilsport die dominierende Rolle spielte. Ab 1896 war der im Vorjahr gegründete Automobile Club de France (A.C.F.), ältester Automobilclub der Welt, für die Durchführung der Fernfahrten verantwortlich. Die Renndistanzen lagen zwischen 500 und über 2000 km, es waren entweder Tagesprüfungen oder Veranstaltungen über mehrere Tagesetappen. Erfolgreichster Hersteller dieser Periode war Panhard, gefolgt von Mors, beides französische Konstruktionen. Die Leistung der Fahrzeuge stieg in diesen Jahren kontinuierlich auf über 60 PS an.

Parallel zu den großen Fernfahrten bildeten die Veranstaltungen der „Rennwoche von Nizza“ und die Rennen um den „Gordon-Bennett Cup“ (ab 1900) den zweiten Jahreshöhepunkt, und 1904/05, als die Fernfahrten aufgrund zahlreicher tödlicher Unfälle beim Rennen Paris-Madrid eingestellt wurden, war der Gordon-Bennett Cup das wichtigste Rennen des Jahres. Initiator war der amerikanische Verleger James Gordon Bennett Jr. Zum ersten Mal  fanden Autorennen unter einem Regime fester Regeln statt: Eintagesrennen über eine Distanz zwischen 550 und 650 km für zweisitzige Fahrzeuge mit Fahrer und Beifahrer, Gesamtgewicht (leer) zwischen 400 und 1000 kg. Maximal waren drei Fahrzeuge pro Nation erlaubt. Die Nation des siegreichen Fahrzeugs organisierte das nächstjährige Rennen. 1900 bis 1902 erfolgte die Gordon-Bennett Wertung noch im Zusammenhang mit den Fernfahrten von Paris nach Toulouse bzw. nach Bordeaux und nach Wien, danach auf abgesperrten Straßenkursen, die allerdings mit einer Rundenlänge zwischen 80 und 140 km und ohne festen Straßenbelag nicht mit den Rennkursen ab etwa Mitte der 1920er Jahre vergleichbar waren. Da die Nationalität bei diesen Rennen eine wichtige Rolle spielte, entstand schon damals die Idee, den Ländern unterschiedliche Farben der Fahrzeuge zuzuordnen, z.B. Grün für Großbritannien, Blau für Frankreich oder Weiß für Deutschland (später kam Rot für Italien hinzu).

Der Gordon-Bennett Cup von 1903 wurde in Irland ausgetragen, da der Siegerwagen des Vorjahres, Napier, aus dem Vereinigten Königreich kam, das damals noch ganz Irland mit einschloss: In England waren Autorennen auf normalen Straßen nicht erlaubt. Das Rennen bescherte dem deutschen Hersteller Daimler den ersten großen internationalen Erfolg: Der Belgier Camille Jenatzy siegte mit seinem 60 PS starken Mercedes. Damit wurde das Deutsche Kaiserreich Ausrichter des Rennens von 1904. Auf einem 140 km langen Rundkurs im Taunus war der Belgier mit seinem nunmehr 90 PS starken Mercedes als Lokalmatador Favorit, er wurde dann aber von Léon Théry mit einem Richard-Brasier knapp geschlagen – ausgerechnet ein Franzose mit einem französischen Fahrzeug: Willem Zwo war vermutlich „not amused“. Théry konnte diesen Erfolg beim letzten Gordon-Bennett Rennen 1905 sogar wiederholen.

Modelle in 1/43 aus dieser Frühzeit des Motorsports sind rar (Stand 2022). Von den bekannten Diecast-Herstellern haben sich im wesentlichen nur Brumm, Safir, Rio und Cursor mit einer Handvoll Modellen dieses Themas angenommen, die allerdings bei weitem nicht mehr den aktuellen Standard erreichen, z.B. von Brumm: Renault 40 HP, Paris-Madrid 1903; Fiat 75 HP, Gordon Bennett 1904; Fiat 100 HP, Gordon Bennett 1905; sowie von Safir der Renault 16V, Paris-Wien 1902. Vom Sieger des Gordon Bennett-Rennens 1905, Richard-Brasier, gibt (oder besser gab) es einen sehr schönen Bausatz von MCM.

Mercedes-Modelle in 1/43: Vor dem großen Triumph beim Gordon-Bennett Rennen 1903 traten die Daimler Rennwagen unter der Regie des Kaufmanns Emil Jellinek – ab 1901 unter dem Namen Mercedes – vor allem anlässlich der Rennwochen von Nizza in Erscheinung. Vom Mercedes 35 HP von 1901 gibt es ein recht simples Modell von Cursor und schöne Modelle von Distler (auch für die Mercedes Classic Collection) und IXO (Serie Museum). Ein ähnliches Modell, Jahrgang 1902 (Typ 40 HP), wurde ebenfalls von IXO produziert, da trug das Auto erstmals den Namen „Simplex“. Das Modell ist blau lackiert und wurde auch in den IXO-Sonderserien deAgostini und Altaya aufgelegt.

Mercedes 35 HP, Rennwoche von Nizza 1901, Modell von Distler

Anmerkungen zum Mercedes 35 HP: Der Name „Mercédès“ entsprach dem Kosenamen von Jellineks Tochter Adriana Manuela Ramona, er war in Frankreich beim Verkauf deutscher Daimler-Autos sicher förderlich, außerdem hielt Panhard für Frankreich die Rechte auf den Namen Daimler. Der von Wilhelm Maybach und Paul Daimler über das Jahr 1900 entwickelte neue Wagen, erstmals bei Daimler mit vier Zylindern und mit 35 PS Leistung (bei 1000 U/min) aus knapp 6 Litern Hubraum, war in vielfacher Hinsicht revolutionär: Viele bezeichnen ihn als das erste „richtige“ Auto, fernab von jeder Ähnlichkeit mit den kutschenartigen Vehikeln vor der Jahrhundertwende. Wilhelm Werner gewann mit dem Auto 1901 das Hauptrennen der Nizza-Rennwoche, die Fahrt Nizza-Salon-Nizza. Auch im folgenden Jahr war der nunmehr 40 PS starke Mercedes, genannt „Simplex“, in Nizza erfolgreich.

Vom Mercedes 60 PS, dem Gordon-Bennett-Sieger 1903, wurde bislang (2022) nach meiner Kenntnis kein akzeptables Modell produziert, der Mercedes „Rennwagen 1903“ von Cursor hat allenfalls Spielzeugcharakter. Dagegen kann der 90 PS Mercedes des Gordon-Bennett Rennens 1904 mit ein paar kleineren Modifikationen auf der Basis eines sehr schönen Bausatzes von Touchwood hergestellt werden. Das Touchwood-Modell stellt den von Pierre deCaters gesteuerten Mercedes dar, mit dem er 1904 in Ostende Rekordfahrten unternahm.

Anmerkungen zum Mercedes 60 PS von 1903: Eigentlich war für das Gordon-Bennett Rennen 1903 der Einsatz der neuen Mercedes Rennwagen mit 12,7 Liter-Motoren und 90 PS Leistung geplant, die zuvor bereits bei der Fernfahrt Paris-Bordeaux (-Madrid) fuhren. Alle fünf Autos wurden aber kurz vor dem Rennen bei einem Werksbrand komplett zerstört. So musste man bei Daimler improvisieren und lieh sich bei verschiedenen Händlern oder Besitzern drei Mercedes-Tourenwagen mit 9,3 Liter-Motoren und 60 PS aus und baute sie in Rennwagen um. Möglicherweise waren diese für die Rennstrecke in Irland sogar besser geeignet als die stärkeren, aber auch schwereren 90 PS-Boliden. Beim Gordon-Bennett Rennen 1904 in Deutschland starteten dann die 90 PS-Mercedes, und im letzten Jahr dieser Serie hatten die Mercedes dann sogar 120 PS-Motoren.   

1906 – der erste „Grand Prix“ der Geschichte

1905 kam der Gordon-Bennett Pokal nach vier französischen Siegen in sechs Jahren endgültig in den Besitz des Automobile Club de France, er kann heute noch in den Clubräumen in Paris besichtigt werden. Die Franzosen waren allerdings mit der Beschränkung auf drei Fahrzeuge pro Nation nicht mehr einverstanden, da es gerade dort zahlreiche im Rennsport engagierte Hersteller gab. Der A.C.F. schrieb daher – als Nachfolger des Gordon-Bennett Cups – den ersten „Grand Prix“ aus, den Ur-Grand Prix der Motorsporthistorie. Es begann 1906 im später so geschichtsträchtigen Le Mans: Man fuhr auf einem gut 100 km langen Dreieckskurs östlich von Le Mans, der an zwei Tagen je sechsmal zu umrunden war. Pro Hersteller waren bis zu drei Fahrzeuge zugelassen. Die Autos durften nicht mehr als 1000 kg wiegen, und sie mussten mit zwei Personen besetzt sein. Am Start waren letztlich 12 Hersteller, darunter allein neun aus Frankreich sowie zwei aus Italien (Fiat, Itala) und Mercedes aus Deutschland, von einer bunten internationalen Mischung war man also noch weit entfernt. Immerhin waren viele der damals bekannten Piloten am Start: Szisz, Hémery, Wagner, Jenatzy, deCaters, Florio, Lancia und Nazzaro, um die wichtigsten zu nennen. Nach über 12 Stunden Fahrt siegte ein Renault Typ „AK“ mit einem 13 Liter-Vierzylindermotor und gut 100 PS, mit dem Ungarn Ferenc Szisz am Steuer. Zweiter wurde der Italiener Felice Nazzaro mit einem Fiat. Von 32 Teilnehmern kamen elf ins Ziel. Ein wichtiger Faktor für den Sieg des Renault war eine technische Neuerung bei den Michelin-bereiften Rädern: Die hinteren Felgen waren abnehmbar, einer der häufigen Radwechsel (nur vom Fahrer und Beifahrer vorzunehmen) kostete damit weniger als ein Drittel der Zeit gegenüber der herkömmlichen Montage.

Modelle in 1/43 (Stand 2022): Ein sehr schöner Bausatz des siegreichen Renault kam vor vielen Jahren von MCM heraus, heute leider nur noch sehr schwer zu beschaffen. Man kann aber auch auf der Basis des immer noch erhältlichen Brumm-Diecasts mit einigen Modifikationen ein passables Modell herstellen (siehe Fotos). Bildmaterial gibt es im Internet reichlich, sowohl als SW-Originalaufnahmen vom Rennen als auch vom heute noch existierenden (oder rekonstruierten?) Auto. Vom Renault gab es übrigens schon Anfang der 1970er Jahre einen 1/43-Metallbausatz von Paddy Stanley – das wäre ein schöner Beitrag für das Modellmuseum.

Renault AK 90CV, Sieger des ersten Grand Prix de l´A.C.F. 1906 (Ferenc Szisz), Modell auf Basis des Brumm-Diecasts

Der Teil (2) kann hier aufgerufen werden.

 

 

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