Le Mans Historie: Die Beinahe-Sieger

Le Mans – die Krone jeder Endurance-Rennsportsaison, mit einer (2014) 90jährigen Geschichte: Entsprechend umfassend war und ist das Angebot an 1:43-Modellen der Fahrzeuge, die dort gestartet sind. Jeder Modellsammler, der sich den französischen Langstrecken-Klassiker als Thema ausgewählt hat, sieht sich daher mit der Frage konfrontiert, nach welchem System die Sammlung halbwegs begrenzt (und finanzierbar) aufgebaut werden sollte – es sei denn, er verzichtet zugunsten spontaner Kaufentscheidungen ganz auf ein logisches System.
Übliche Eingrenzungen sind bestimmte Marken oder Epochen. Damit kommt aber immer nur ein kleiner Ausschnitt der langen Le Mans-Geschichte zum Zuge, und oft leidet dabei auch die Vielfalt einer Sammlung, etwa wenn man sich auf die Gruppe C-Epoche und auf Porsche konzentriert und am Ende in eine Vitrine voller 956/962-Varianten blickt.

Wie kann man der langen und bunten Le Mans-Historie Herr werden und sich dennoch eine überschaubare Modellsammlung zum Ziel setzen? Eine Möglichkeit sind „Spezialthemen“, die sich nicht auf einzelne Epochen oder auf bestimmte Marken beschränken. Klassische Beispiele sind die Gesamt- und Klassensieger, die Podiumsplätze 1, 2 und 3, die Trainingsschnellsten oder die Fahrzeuge einzelner Piloten. Es gibt aber auch andere „Mini-Themen“, die zu einem interessanten Element einer Le Mans-Sammlung führen können. Ein Beispiel soll hier vorgestellt werden: Die „Beinahe-Sieger“.

Das sind die Pechvögel, die das Rennen über viele Stunden angeführt oder ihm zumindest ihren Stempel aufgedrückt haben, um schließlich im letzten Renndrittel oder erst in den allerletzten Stunden auszufallen. Sie tauchen in den Ergebnislisten nur unter „DNF“ (did not finish) auf, hinter allen Fahrzeugen, die nach 24 Stunden noch über die Ziellinie fuhren. Ihr spätes Scheitern war meist von Tränen und entsprechenden Emotionen der Fahrer, der Teams und der Zuschauer begleitet, denn anders als die knapp geschlagenen Zweiten oder Dritten standen diese Teams nach vielen Stunden Hoffen und Bangen am Ende mit leeren Händen da.

2014 lieferte das Rennen einen solchen Fall: Morgens um 5 Uhr – also nach 14 Stunden Renndistanz – fällt der seit Rennbeginn nahezu ununterbrochen führende Toyota TS040 mit Wurz, Sarrazin und Nakajima einem irreparablen Kabelbrand zum Opfer und überlässt Audi mit seinem bereits zweimal siegreichen Team Fässler, Lotterer und Treluyér einen weiteren Gesamtsieg an der Sarthe (Anmerkung: 2014, als dieser Bericht entstand, war das Toyota-Drama von 2016 natürlich noch gar nicht bekannt).

Wer noch die glorreiche Gruppe C-Epoche im Kopf hat, denkt dabei sofort an das Schweizer Porsche Team von Walter Brun, das 1990 mit seinem privaten 962C über 23 Stunden tapfer gegen die Werksteams von Jaguar und Nissan gekämpft hatte, immer mit an der Spitze lag und den Wagen dann 15 Minuten vor Schluss (!), Platz 2 vor Augen, mit einem Motorschaden an der Signalisation hinter der Mulsanne-Kurve abstellen musste. Alle Akteure in Le Mans, die 15 Minuten vor Rennschluss angesichts eines bevorstehenden großen Erfolgs immer noch alle Glückwünsche abwehren, haben seit 1990 und spätestens seit 2016 genau diese Geschichten im Kopf, denn in Le Mans gilt: Wer am Ende in der Ergebnisliste stehen will, muss nach 24 Stunden die Ziellinie überqueren.

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Porsche 962C, Brun Racing Team, Le Mans 1990 – Ausfall an 2. Stelle liegend, 15 Minuten vor Ende des Rennens

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Brun Porsche 962C, Le Mans 1990, Modell: Spark

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Le Mans 1990: Sieger Jaguar XJR12 (Provence Moulage), Brun Porsche 962C (Spark)

Zu den Pechvögeln dieser Art gehört also sicher der Brun Porsche 962C von 1990, obwohl er nur über einen Teil der ersten 23 Stunden wirklich auf Platz 1 lag. Er taucht daher nicht in der folgenden Übersicht auf, welche sich auf Fahrzeuge beschränkt, die über wesentliche Teile des Rennens bis zu ihrem späten Ausfall geführt haben. Entsprechendes gilt im übrigen auch für späte Ausfälle in den Jahren 1961 (Ausfall des an zweiter Stelle liegenden Ferrari 250 TR/61 mit Pedro und Ricardo Rodriguez nach 22 Stunden), 1973 (Ausfall des Ferrari 312PB mit Ickx und Redman, ebenfalls an zweiter Stelle liegend, nach 23 Stunden) und 1987 (Ausfall des Jaguar XJR8LM mit Nielsen, Brundle und Hahne, an zweiter Stelle liegend, nach 16 Stunden).

Ein anderer Ausfall ist ebenfalls nicht Teil der hier aufgestellten Liste: Der Mercedes-Benz 300 SLR mit der Star-Besetzung Fangio und Moss wurde 1955 – angesichts des haarsträubenden Unfalls zweieinhalb Stunden nach dem Start – spät in der Nacht um 2 Uhr, deutlich in Führung liegend, von Mercedes zurückgezogen, das war aber bereits nach zehn Rennstunden, also deutlich vor der 16-Stunden-Marke.

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Mercedes-Benz 300 SLR, Le Mans 1955 (Fangio-Moss), Modell: Minichamps in 1:43

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Mercedes-Benz 300 SLR, Le Mans 1955 (Fangio-Moss), hier das 1:24-Modell von Pauls Model Art

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Mercedes-Benz 300 SLR, Le Mans 1955 (Modell: Minichamps, Figuren: Omen)

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Le Mans 1955: Sieger Jaguar D (Quartzo), Mercedes-Benz 300 SLR (Minichamps)

Die hier aufgestellte Liste erzählt dagegen von Ausfällen in Führung liegend nach der 16-Stunden-Marke, also nach mindestens zwei Dritteln der Gesamtdistanz. Die Rangliste beginnt auf Platz 1 mit dem tragischen Ausfall des Talbot Lago T26 mit Pierre Levegh im Jahr 1952 – eine Stunde vor Schluss – und endet mit dem Porsche 911 GT1, mit dem Bob Wollek nach 16 Stunden, weitgehend in Führung, seine größte Chance auf einen Le Mans-Sieg in der Arnage-Passage versenkte. Die folgende Übersicht zeigt die Liste der Beinahe-Sieger und zeigt auf, welche Modelle in 1:43 im Jahr 2014 hierzu angeboten wurden.

Übersicht

Nr. 1: Ausfall in Stunde 23 – Pierre Levegh mit dem Talbot Lago T26 scheitert 1952 bei seiner Alleinfahrt ohne Ablösung eine Stunde vor Schluss in Führung liegend mit einem Motorschaden und ebnet den Weg für einen Doppelsieg der Mercedes-Benz 300 SL. Eine französische Tragödie und ein deutscher Erfolg – kaum erträglich für die französischen Zuschauer so kurz nach dem Krieg. Ein preisgünstiges Resincast- oder Diecast-Modell des Talbot hat es übrigens bis heute (2023) nicht gegeben.

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Talbot-Lago T26 GS, Le Mans 1952 (Levegh), Modell: John Day

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Le Mans 1952: Sieger Mercedes-Benz 300SL (Modell Starter), Talbot-Lago T26GS (John Day)

Nr. 2: Ausfall in Stunde 22 – Thierry Boutsens Toyota GT-One strandet mit einem Getriebeschaden auf der Strecke, nachdem der Wagen mit den Kopiloten Geoff Lees und Ralf Kelleners über viele Stunden geführt oder mit den beiden Porsche 911 GT1/98 um die Führung gekämpft hat. Der Weg ist frei für einen Porsche-Doppelsieg, bis 2015 der letzte Gesamtsieg der Stuttgarter in Le Mans.

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Toyota GT-One, Le Mans 1998 (Modell: Onyx)

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Le Mans 1998: Sieger Porsche 911 GT1/98 (Minichamps), Toyota GT-One (Onyx)

Nr. 3: Ausfall in Stunde 21 – der Mercedes-Benz C11 des Sauber Teams, pilotiert von Jochen Mass, Jean-Louis Schlesser und Alain Ferté, kommt nach vielen Stunden überlegener Führung mit überhitztem Motor an die Box und lässt sich nicht mehr reparieren. Der Wankel-Mazda mit Herbert, Weidler und Gachot, auf den kaum einer gewettet hat, holt seine vier Runden Rückstand auf und zieht vorbei zum ersten und bis 2018 einzigen Gesamtsieg eines japanischen Fabrikats.

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Le Mans 1990: Sieger Mazda 787B (Modell: Starter), Mercedes-Benz C11 (Max Models)

Nr. 4: Ebenfalls 21 Stunden hält der brandneue Porsche 917 mit Dick Attwood und Vic Elfort Porsches Hoffnungen auf den ersten Le Mans-Gesamtsieg am Leben, nachdem er das Rennen ab Stunde vier überlegen angeführt hat. Die schon über Stunden schwächelnde Kupplung gibt dann aber vollends ihren Geist auf, und der Vorhang öffnet sich zum Jahrhundert-Duell zwischen dem Porsche 908 von Herrmann und Larrousse und dem Ford GT40 mit Ickx und Oliver, das am Ende Jacky Ickx mit nicht einmal 200 Metern Vorsprung vor Hans Herrmann für sich entscheidet.

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Porsche 917 Langheck, Le Mans 1969 (Ebbro)

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Le Mans 1969: Sieger Ford GT 40 (IXO), Porsche 917 (Ebbro)

Nr. 5: 1999 – nicht die mit großem Ballyhoo zum „größten Rennen seit Ben Hur“ angetretenen Toyota und AMG Mercedes bestimmen das Rennen, sondern BMW mit seinen eher einfachen, aber effizienten V12 LMR-Prototypen „made by Williams“. Das schnellere der beiden BMW-Teams mit Tom Kristensen, J.J. Lehto und Jörg Müller am Steuer kämpft lange mit dem Toyota von Boutsen, Kelleners und McNish, bis Boutsen Opfer einer Kollision mit einem GT wird und ausfällt. Der Weg ist für den BMW frei – bis zur 19. Stunde, dann kommt das Aus nach einem aufhängungsbedingten Abflug, und der zweite BMW mit Yannick Dalmas, Joachim Winkelhock und Pierluigi Martini rettet am Ende den Tag für die Münchner.

Nr. 6: Das 1977 erwartete Duell zwischen Alpine Renault und Porsche findet nicht statt – die beiden 936 von Porsche fallen früh aus oder aussichtslos zurück, und die Renault führen überlegen, allen voran der A442 mit Jean-Pierre Jabouille und Derek Bell, der seit Rennbeginn an der Spitze liegt. Aber in Stunde 19 ist alles vorbei, Motorschaden – aus! Jacky Ickx´ atemberaubende Aufholjagt im bereits abgeschriebenen 936 über die Nachtstunden ist eine der großen Le Mans-Legenden, und sie wird schließlich trotz in der Endphase auftretender Motorprobleme auch mit dem Sieg für Porsche, Ickx, Barth und Haywood belohnt.

Nr. 7: 1959 kämpfen die Teams von Ferrari (250 Testa Rossa) und Aston Martin (DBR1/300) um den Gesamtsieg. Die Vorjahressieger Gendebien und Phil Hill führen ab Stunde 11 und müssen in der 19. Stunde aufgeben – der Weg ist frei für den Aston Martin mit Roy Salvadori und Carroll Shelby. Er beschert der britischen Sportwagen-Manufaktur den lang ersehnten Le Mans-Sieg und schafft schließlich das Fundament für den Titel des Sportwagen-Weltmeisters 1959.

Nr. 8: 1963 ist ein Ferrari-Jahr, am Ende belegen sechs Fahrzeuge aus Maranello geschlossen die ersten Plätze. Der schnellste der Roten aber geht leer aus: Der 250 P von John Surtees und Willy Mairesse dominiert das Rennen, führt ab Stunde vier und scheitert dann nach 18 Stunden mit einem Motorbrand, den Mairesse nur mit viel Glück übersteht. Nie vorher oder danach kam Surtees, der wohl beste Sportwagenpilot der 1960er Jahre, einem Le Mans-Sieg näher. Der Sieg geht an das Schwesterauto mit Bandini und Scarfiotti – ein komplett italienischer Triumph.

Nr. 9: 2007 – An seinem 43. Geburtstag führt Rinaldo „Dindo“ Capello den Audi R10 TDI, der seit Rennbeginn an der Spitze liegt, in die Schlussphase des Rennens. Mitstreiter Tom Kristensen hofft auf seinen achten Le Mans-Sieg, Alan McNish auf seinen zweiten. Dann, nach 17 Stunden, verabschiedet sich das linke Hinterrad in einer der schnellsten Passagen auf der Anfahrt nach Indianapolis, und Capello bleibt nur der Ritt in den Notausgang, er bleibt dabei unversehrt – Glück im Unglück. Vorjahressieger Biela, Pirro und Werner springen in die Bresche und bescheren Audi doch noch den Sieg.

Nr. 10 (a): Le Mans 2010 – beim vierten Diesel-Duell Peugeot gegen Audi nach dem Einstieg der Franzosen 2007 läuft alles zugunsten der schnelleren 908, die Audi R15 Plus können nur mit Mühe mithalten. Alle Franzosen drücken „ihrer“ Traumbesetzung Minassian, Sarrazin und Montagny die Daumen, sie liegen bis Stunde acht immer an erster oder zweiter Position und führen seitdem das Rennen überlegen an. Ohne Vorankündigung dann das Aus nach 16 Stunden – ein Motorschaden, der in der Schlussphase auf identische Weise zwei weitere Peugeot dahinrafft. Wieder einmal dominieren am Ende die zuverlässigen Audi und fahren als Dreierteam in Formation über die Ziellinie.

Nr. 10 (b): Nach den Plätzen zwei und drei im Vorjahr treten weiter entwickelte Porsche 911 GT1 im Jahr 1997 als Favoriten an – in diesem Jahr sind sie sogar schneller als der Vorjahressieger, der offene Joest Porsche WSC. Zwei Drittel des Rennens sind vorbei, und alles sieht nach einem Erfolg des 911 GT1 mit Wollek, Stuck und Boutsen aus, endlich die ersehnten ersten Le Mans-Siege für den Elsässer und den Belgier. Aber dieses Mal ist es Wollek selbst, der nach einem Fahrfehler von der Strecke abkommt und die historische Chance vergibt. Zwei Stunden vor Schluss fällt auch noch der zweite 911 GT1 mit Dalmas, Kelleners und Collard aus, der die Führung vom Schwesterauto übernommen hat. So kann das Joest Racing Team seinen Vorjahreserfolg mit dem identischen Fahrzeug, aber anderen Fahrern wiederholen, und Tom Kristensen schafft hier seinen ersten Le Mans-Sieg.

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Porsche 911 GT1/97 (Minichamps)

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Le Mans 1997: Sieger Joest Porsche WSC (Trofeu), Porsche 911 GT1/97 (Minichamps)

Quellen: Siehe Rubrik “Über diese Seite” → “Anmerkungen zu Minerva Endurance”.

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