Bericht von 2011
Nach einigen „mageren“ Jahren fand das 24 Stunden-Rennen von Le Mans ab 1977 wieder zum alten Glanz der 1950er und 1960er Jahre zurück. 1977 kam es zum ersten Duell Porsche gegen Renault-Alpine auf Augenhöhe, vergleichbar mit der Situation Audi gegen Peugeot der Jahre 2007-2011, und 1978 versprach mit der Neuauflage dieses Zweikampfes ein spannendes und hochklassiges Rennen zu werden. So kam es in diesem Jahr endlich zu meinem ersten Besuch des 24-Stunden-Klassikers.
Los geht’s am Donnerstag vor dem Rennen – zwei Leute im VW Bus, zwei Fahretappen bis Le Mans, Übernachtung auf einem belgischen Rastplatz. Alles ohne Buchung, ohne Tickets oder Camping-Karte, das wäre heute kaum noch möglich.
Ankunft Freitag vor dem Rennen in dem kleinen Ort Teloche nahe Le Mans. Im dortigen Hotel sind wie jedes Jahr das Porsche-Werksteam und Joest Racing untergebracht. Ich liefere meine Mitfahrerin wie verabredet dort ab, werfe einen kurzen Blick in den Hotelgarten, wo offenbar gerade eine Rennbesprechung des Werksteams stattfindet, und erhalte als Lohn für den Transferdienst Kiel-LeMans Freikarten für „Enceinte Generales“ und „Balcons Ravitaillements“, habe also Zugang zum gesamten Zuschauerbereich sowie zur Boxentribüne und damit auch zum technischen Bereich hinter den Boxen (zu Deutsch „Fahrerlager“).
Damit nicht genug. Am Samstagmorgen finde ich mich im Team-Kleinbus des von Joest Racing an die Whittingtons ausgeliehenen Porsche 935 (Startnummer 94) wieder, um beim Aufbau der „Signalisation“ an der Mulsanne-Kurve zu helfen. So lerne ich gleich mal diesen Teil der Rennstrecke und die damals noch lächerlich primitive Telekommunikation dort kennen, eigentlich nichts anderes als Feldtelefone, die die Verbindung zur Box an Start und Ziel herstellen. Dann wieder zurück zum Start- und Zielbereich: Hier erlebe ich das Rennen dann vornehmlich auf der Boxentribüne, wo man nur drei Meter oberhalb der frei sichtbaren Wartungsarbeiten (damals noch vor den Boxen) alle Boxenstopps und Reparaturen genau verfolgen und die vielen prominenten Personen (Rennleiter, Piloten, Journalisten, ehemalige LeMans-Prominente usw.) beobachten kann.
Die alten Boxen waren – zumindest für die Zuschauer – deutlich attraktiver als die seit 1991 bestehende neue Anlage, zumal die Reparaturen seitdem ja in den Boxen und nicht davor stattfinden. Andererseits ist die Sicherheit der Zuschauer heute natürlich größer, insbesondere bei Feuerunfällen, z.B. beim Betanken. Jedenfalls war der Standort auf dem „Balcon“, wenn man es in die erste Reihe geschafft hatte, so interessant und spektakulär, dass ich über weite Strecken des Rennens dort hängen blieb und beim ersten Mal noch nicht so viel von den Bereichen abseits des Start- und Zielbereichs gesehen habe. Das sollte sich erst bei späteren Besuchen des Rennens ändern. Erst da bekam ich eine Vorstellung über das eigentliche Rennen, die Passagen bis zur Tertre Rouge Kurve, die magischen Stunden der Dämmerung am Samstagabend, den Sound der Motoren – das Fernsehen kann das in keiner Weise vermitteln.
Immerhin, ich schaffte es dann doch an einige Punkte der Strecke, ging hin und wieder meine Runde durch den „Parc des Ravitaillements“ hinter der Boxenanlage, was bis 1990 mit der „Balcon“-Eintrittskarte möglich war, oder schlenderte durch das „Village“ mit seinen traditionell in Holzbauweise errichteten Pavillons für Imbiss, Getränke und einschlägige Läden (Bücher, Zeitschriften, T-Shirts und Caps und natürlich Modellautos). Wichtigster Anziehungspunkt war für mich der Pavillon von Manou LeMans mit seiner großen Auswahl von 1:43-Modellen, die zum Teil in Deutschland völlig unbekannt waren. Der Manou-Pavillon ist seit vielen Jahren bereits Geschichte. Um Jacques Simonet, den Schöpfer der Manou LeMans-Modelle, zu treffen, musste man später seinen kleinen Laden in der City von LeMans aufsuchen, heute (2015) ist Jacques wohl im Ruhestand, den Laden gibt es nicht mehr.
Auf viele dieser Attraktionen blicken LeMans-Besucher der 1970er und 1980er Jahre heute mit Wehmut zurück – die modernen Anlagen um den Start- und Zielbereich haben viel von dem alten Charme verloren, von den seit 1991 deutlich geringeren Möglichkeiten, den Fahrzeugen und Teilnehmern nahe zu kommen, einmal abgesehen. Das ist heute am besten bei der technischen Abnahme und der Fahrerparade in der Innenstadt von LeMans möglich.
Andererseits muss man aber zugestehen, dass die Information für den Rennbesucher über den jeweils aktuellen Stand des Rennens oder über Hintergründe, Interviews und Technik damals nur als „lausig“ zu bezeichnen war (ähnlich wie die Sanitäranlagen, die heute wesentlich besser sind als früher, was man kaum glauben mag). „Radio LeMans“ gab es damals noch nicht, natürlich auch keine Bildwände, und den französischen Streckensprecher konnte ich bei dem Geräuschpegel und den geringen Sprachkenntnissen vergessen. Es gab eigentlich nur ein stündlich (!) aktualisiertes Leuchtschriftband an der Start- und Zielgeraden und hin und wieder im Village ausgehängte Zettel mit dem Stand des Rennens, meist um eine Stunde veraltet.
Das Rennen
Zum Rennen 1978 sind viele Quellen verfügbar, angefangen von Wikipedia bis zum ausführlichen Jahrbuch „Le Mans 1978“ von Christian Moity und Jean-Marc Teissedre, das allerdings nur noch im Antiquariat erhältlich ist. Film- oder Video-Aufnahmen vom Rennen gab es 2011 noch nicht oder nur in ganz kurzen Sequenzen.
Wie 1977 kam es bei bestem Sommerwetter erneut zum Duell Porsche gegen Alpine-Renault, dieses Mal hatten aber am Ende die Franzosen die Nase vorn. Sie setzten drei Werkswagen ein, darunter einen neuen A443 mit längerem Radstand und größerem Motor, einen aktuellen A442B und einen A442, hinzu kam ein A442 des Vorjahres vom Calberson-Team. Besonderes Kennzeichen des siegreichen A442B war eine Acrylglas-Haube über dem Cockpit zur Verringerung des Luftwiderstands. Das Martini-Porsche-Werksteam entwickelte seinen 1977 siegreichen 936 weiter zum 936/78, nunmehr mit vier Ventilen pro Zylinder, wassergekühlten Zylinderköpfen und einigen Veränderungen der Karosserie. Zwei 936/78 wurden von einem 936 des Vorjahres unterstützt.
Hinzu kam der neu entwickelte, spektakuläre Gruppe 5-Porsche 935/78, in LeMans auf den Namen „Moby Dick“ getauft, das stärkste Fahrzeug des Feldes. Sein großer Benzindurst und viele kleinere technische Probleme ließen am Ende allerdings nur einen enttäuschenden 8. Platz zu.
Im Windschatten des großen Duells hatten die beiden Mirage-Renault oder andere Gruppe 6-Sportwagen (z.B. de Cadenet) ebenso wenig eine Chance wie die 1976 neu geschaffene GTP-Klasse mit den Rondeaus und WM-Peugeots. Einige der privat eingesetzten Porsche 935 liefen in der Gruppe 5 oder der IMSA-Klasse wieder ohne Probleme und landeten auf den Plätzen 5, 6 und 7.
Das Spitzenduell entschied wieder – wie meist in LeMans – die Zuverlässigkeit, dieses Mal zugunsten des Renault A442B mit Pironi und Jaussaud, ein viel umjubelter französischer Sieg. Am Ende konnte er den 936/78 (Nr. 6), der nach anfänglichen Problemen in den Nachtstunden von Jacky Ickx wieder in eine aussichtsreiche Position zurückgebracht wurde (fast eine Replik des Vorjahres), aufgrund einer Getriebereparatur des Porsche klar distanzieren. Die Stuttgarter retteten zwar ihre Ehre mit den Plätzen 2 und 3, aber in LeMans zählt natürlich vor allem der Sieg.
Die Modelle
Modellsammler profitierten schon kurz nach dem Rennen 1978 von dem breiten Angebot von 1:43-Modellen, das Ende der 1970er Jahre sowohl aus Diecasts (Solido usw.) als auch aus einer großen Zahl von Kleinserienanbietern von Bausätzen bestand. So kam Diecast-Marktführer Solido recht schnell mit dem siegreichen Alpine-Renault auf den Markt, und der drittplatzierte Porsche 936/77 konnte auf Basis des baugleichen Solido-Modells von 1977 mit wenigen Modifikationen gebaut werden. Etwas schwieriger war es, aus dem 1977er 936 von Solido den 936/78 herzustellen, eine interessante Herausforderung für die damaligen Bastler. Ansonsten konnte man schon wenige Monate nach dem Rennen auf Angebote aus dem Bausatzsektor vertrauen: Mini Racing mit den Alpine-Renault-Versionen und Minichamps mit Metallbausätzen für die Porsche-Fahrzeuge, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Heute sind die wichtigsten Teilnehmer des Rennens als Diecast- oder Resincast-Modelle erhältlich (IXO, Minichamps, Trofeu, Spark, Bizarre, siehe die folgende Übersicht, Stand 2011). Es gibt aber noch Ausnahmen: Der Chevron B36 (Startnr. 31, 11. Platz) oder der deCadenet (Startnr.8) sind nicht als Modelle (auch nicht als Bausätze) lieferbar, und der Ferrari 512BB ist nur als teures Kleinserienmodell (Technomodell, Nr. 88) oder als Bausatz (Tron Kits, Nr. 87) erhältlich. Und auf ein korrektes Modell des Alpine-Renault A443 (also mit dem längeren Radstand), immerhin über viele Stunden in Führung liegend, warteten wir 2011 immer noch, erst das 2015 von Spark produzierte Modell des A443 war endlich korrekt.
Le Mans 1978 Modellübersicht (Stand 2011)
Quellen:
Christian Moity, Jean-Marc Teissedre (Hrsg.), The Le Mans 24-Hour Race 1978, Edita Lausanne, 1978 / Motorsport-Journals von Juli/August 1978.
Weitere Anmerkungen zu den Fotos und zu Informationsquellen: siehe Bericht „Wie alles begann“, außerdem: siehe Rubrik „Über diese Seite“ → „Anmerkungen zu Minerva Endurance“.
Danke fuer den tollen Beitrag. Das gibt das flair der frueheren Jahre ein bisschen wieder. Auch in der F1 ist es in den 70ern und ganz fruehen 80ern noch unkomplizierter zu und her gegangen. So konnte man Fahrer treffen und mit etwas Glueck am Samstag sogar in einem Rennwagen Platz nehmen. Wie so vieles hat alles Sonnen- und Schattenseiten. Das Abschiednehmen ist gluecklicherweise auch seltener geworden.