Le Mans 1988: Jaguar im dritten Anlauf – Sechster Besuch des Rennens

Bericht von 2011

Mit gemischten Gefühlen hatten wir Le Mans 1986 verlassen (siehe Bericht “Le Mans 1986 – Mixed Emotions“), und voller Erwartung wurden Pläne für die nächste Tour 1988 geschmiedet, dieses Mal wieder nur zu zweit (HH und RB), da HP kurzfristig aufgrund eines Handbruchs ausfiel.

Die hohen Erwartungen waren berechtigt: Die Gruppe C war in den Jahren 1986 bis 1989 auf ihrem Höhepunkt und versprach ein spannendes Rennen. In den ersten Jahren (1982 bis 1984) waren die Porsche 956 dominierend, trotz schneller Lancia-Konkurrenz, aber ab Mitte 1985 kam ein neuer Konkurrent ins Spiel: Jaguar. Und 1986 stieß noch das Schweizer Sauber-Team mit dem bärenstarken Mercedes-V8-Turbomotor dazu. So versprach die Vorgeschichte des Le Mans-Klassikers 1988, ausgehend von den Ergebnissen zum Jahresanfang und der Rückkehr des Porsche-Werks nach seinem Rückzug Mitte 1987, ein hart umkämpftes Rennen zwischen den drei Protagonisten.

Jaguar: Die V12-Rennkatzen wurden 1985 von Tom Walkinshaw Racing (TWR) entwickelt und ab Saisonmitte 1985 in der Gruppe C eingesetzt. Im folgenden Jahr war man bereits auf Augenhöhe mit Porsche, und in der Zeit von März 1987 bis vor Le Mans 1988 gewann Jaguar 11 der 14 Gruppe C-Rennen zur WM – nur eben nicht das wichtigste, Le Mans 1987: Dort waren nach zwei Stunden zwar fast alle schnellen Porsche 962 bereits ausgeschieden, aber ein einziger Werks-Porsche war noch im Rennen gegen drei TWR-Jaguar, der Vorjahressieger mit Stuck, Bell und Holbert. Am Ende gewann genau dieser Wagen, während es kein Jaguar aufs Podium schaffte. So war die Motivation, aber auch der Druck für Jaguar in Le Mans 1988 besonders hoch, nun – beim dritten Anlauf – endlich den Erfolg zu schaffen. Der Einsatz von nicht weniger als fünf TWR-XJR9 unterstrich diese Situation.

Sieger: Jaguar XJR9, Modell: Starter

Porsche: Auch beim Gruppe C-Spezialisten der letzten 5 Jahre waren Druck und Ehrgeiz hoch. Seit einem Jahr liefen die Porsche 962 der Privatteams einem Gruppe C-Sieg in der WM hinterher. Ohne die Speerspitze des Werksteams, das sich nach Le Mans 1987 weitgehend aus der WM zurückgezogen hatte, war man gegen Jaguar und ab 1988 auch gegen Sauber ins Hintertreffen geraten. Le Mans 1988 sollte der erste volle Renneinsatz nach Le Mans 1987 und zugleich der letzte Einsatz des Werks in der Gruppe C sein. Dazu hatte man den 962C in Weissach noch einmal erheblich aufgefrischt, mit einer vom TAG-Formel 1-Motor abgeleiteten Motronik, überarbeiteter Aerodynamik und einer nochmals stärkeren Fahrerbesetzung – dies galt insbesondere für das „All-Star“-Team mit Stuck, Bell und Ludwig, das nicht weniger als zehn Le Mans-Siege auf seinem Konto hatte.  Unterstrichen wurde diese Rundum-Renovierung von dem wunderschönen schwarz-rot-gelben Design der drei Werkswagen. Verstärkung gab es außerdem durch zwei ebenfalls überarbeitete 962C des Le Mans-erfahrenen Joest Teams.

knapp geschlagen: Porsche 962C, Modell: Starter

Sauber-Mercedes: Seit 1986 nahm das Team aus der Schweiz mit seinen Gruppe C-Fahrzeugen, befeuert von Mercedes-V8-Turbomotoren, an der Gruppe C-WM teil. Schritt für Schritt wurde man parallel zur wachsenden Unterstützung der Stuttgarter konkurrenzfähiger. Der C9 war das stärkste und wohl auch das akustisch attraktivste Fahrzeug im Gruppe C-Zirkus, und die Saison 1988 begann vielversprechend – man war mittlerweile auf Augenhöhe mit den Jaguar. Dennoch war der Einsatz in Le Mans 1988 eher verhalten, mit nur zwei Fahrzeugen, ohne den Spitzenfahrer J.L. Schlesser und ohne spezielle für Le Mans entwickelte Aerodynamik.

nur im Training dabei: Sauber Mercedes C9, Max Models

Die Anderen: Gegen diese drei Hochkaräter verblasste die übrige Konkurrenz etwas, obwohl die japanischen Teams von Nissan, Toyota und Mazda erneut einen Schritt nach vorn machten – sie blieben dennoch weiterhin Außenseiter, zumal Nissan und Toyota immer noch den Beweis ihrer Steher-Qualitäten über 24 Stunden schuldig blieben. Anderen Konkurrenten der C1-Kategorie, wie den anderen privaten Porsche 962C, dem WM Peugeot oder dem Cougar Porsche, gab man bei dieser Konkurrenz kaum eine Chance auf einen Podiumsplatz.

Nissan 88C, Modell: Ebbro

Toyota 88C, Modell: Ebbro

Als wir nach zwei Tagen Anfahrt mit meinem VW Camper aus Schleswig-Holstein, mit Zwischenstopp in Aachen, am 9. Juni (Donnerstag) nachmittags unseren Camping-Stellplatz auf dem Le Mans-Gelände erreicht hatten, bescherte uns der erste Erkundungsgang durch den Boxenbereich eine Enttäuschung: Das Schweizer Team hatte seine beiden Fahrzeuge schon sauber abgedeckt. Während des Mittwoch-Trainings hatte Klaus Niedzwiedz einen Reifenplatzer auf der Hunaudieres-Geraden bei über 300 km/h – Ursache ungeklärt – und Teamchef Max Welti erklärte der Presse am Donnerstag den Rückzug beider Sauber-Mercedes C9: Ein Konkurrent weniger. Nach 1984 (Sheldon im Nimrod Aston Martin), 1986 (Gartner im Kremer 962C und Schlesser im Jaguar XJR6) und 1987 (Percy im Jaguar XJR8) forderte die berüchtigte 7 km-Gerade einen erneuten Tribut, und nur mit viel Glück kamen Schlesser, Percy und dieses Mal Niedzwiedz ohne nennenswerte Blessuren davon. Erneut kam die Sicherheit der Le Mans-Geraden in die Diskussion, es sollte aber noch zwei Jahre dauern, bis die Hunaudieres durch zwei Schikanen entschärft wurde.

Sauber Mercedes C9 (Starter), Rückzug vom Rennen nach dem Trainingsunfall

Nach dieser Enttäuschung gleich bei unserer Ankunft gab es aber auch Positives zu vermelden: Unser Camper-Stellplatz war dieses Mal ein großzügiges und vor allem reserviertes Areal ganz nahe am Dunlop-Bogen, also kein Kampf gegen rot-weiße Absperrbänder von frühzeitig Angereisten, die die Plätze üblicherweise für alle möglichen Spätankommer blockieren. Dieses Ärgernis nervte 1988 noch auf vielen Camping-Arealen rund um den Kurs. Erst in den letzten Jahren hat sich die Organisation der Platzzuteilung verbessert: Auf den meisten Camping-Bereichen werden heute feste Plätze mit genau definierter, ausreichender Größe zugewiesen. Die Camping-Probleme haben sich allerdings verlagert: Heute ist es recht schwierig, an ein Ticket für einen Camping-Stellplatz im Wunsch-Areal zu gelangen – gute Plätze sind schneller ausverkauft als manche Tribünenkarte.

Die zweite gute Nachricht war, dass wir zum ersten Mal vom wunderbaren Service „Radio Le Mans“ durch die Rennwoche geleitet wurden. Seit 1987 versorgt RLM alle Briten – das waren Ende der 1980er Jahre so an die 60-80 Tsd. Leute – und alle anderen Zuschauer mit Englisch-Kenntnissen (also auch uns) mit sehr kompetenten und professionellen Kommentaren, Interviews und Informationen über alles, wirklich alles rund um das Rennen. Endlich war die Zeit der Ahnungslosen vorbei. Mit dem kleinen Radio plus Ohrhörer brachte uns das Gute-Laune-Team seit 1988 immer auf die Höhe der Aktualität: Ein toller Service, an den man sich mittlerweile so gewöhnt hat, dass man es heute kaum noch nachvollziehen kann, wie es davor überhaupt möglich war, das Rennen zu verfolgen. Und die Interviews mit Hans Stuck sind bei den RLM-Hörern heute bereits Legende.

Die dritte bemerkenswerte Nachricht war die Trainings-Traumrunde von Stuck im Werks-Porsche mit der Nr. 17: Mit 3:15,6 Min. war er um volle 3 Sekunden schneller als Bob Wollek im Schwester-Fahrzeug (Nr. 18), und zwischen ihm und Mario Andretti im dritten Werks-962 bzw. zum schnellsten Jaguar lagen bereits 6 Sekunden, der Trainingsrekord vom Vorjahr wurde um über 5 Sekunden unterboten: „There are places and moments where even the most negligent observer suddenly awakens to the fact that he is seeing something really special“ (Moity, Teissedre, 1988 Le Mans 24 Hours, ACO Yearbook, S. 85).

Das offizielle Jahrbuch „Le Mans 1988“ des ACO

Und schließlich gab es für Porsche-Freunde und besonders für Porsche-Modellsammler noch eine Zugabe: Anlässlich seines 10jährigen Bestehens war es dem Porsche Modell Club gelungen, alle Porsche 962C mit einem PMC-Aufkleber auszustatten – die Vorfreude auf das Rennen war also gerettet!

Zuvor gab es aber noch den Freitag, den wir dieses Mal mit einem ausgiebigen Besuch in der Stadt Le Mans nutzten. Nach einem Bummel durch die von britischen Rennfans bevölkerte Innenstadt entdeckten wir das eigentliche mittelalterliche Zentrum rund um die gewaltige gotische Kathedrale, die übrigens vor allem aufgrund ihrer alten, wunderschönen bunten Kirchenfenster besonders sehenswert ist. Hierher verirrt sich nur ein Bruchteil der vielen tausend Besucher, obwohl das mit alten Fachwerkhäusern, pittoresken Läden und netten kleinen Restaurants gespickte „Quartier Medieval“ ein Kleinod ist und häufig als Mittelalter-Kulisse für Spielfilme genutzt wird. Ein wunderbarer Kontrapunkt jedenfalls zur quirligen Neustadt und besonders zu den vor Leben und Energie überschäumenden Campingplätzen rund um den Rennkurs. Ein Besuch der Stadt Le Mans war am Freitag bis Mitte der 1990er Jahre wirklich noch ein gemütliches Intermezzo, da sich die mittlerweile schon legendäre Fahrerparade im Stadtzentrum erst ab 1996 etablierte.

Aber auch heute sollte man der City und dem historischen Zentrum in der „Rennwoche“, z.B. am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag (tagsüber vor dem Abend-Training) einen Besuch abstatten und sich vor dem am Wochenende vorherrschenden Einheits-Imbiss (Poulet Roti, Frites, Brenn-Wurst, Croque Monsieurs) noch einmal von der wunderbaren französischen Restaurantküche verwöhnen lassen. So viel Zeit (und Geld) muss sein…

Auf diese Weise erholt und gestärkt, konnten wir das Rennen bei sommerlichen Temperaturen genießen, zumal das Duell Jaguar vs Porsche hielt was es versprach: Spannung bis zur letzten Stunde. Am Ende lagen die beiden jeweils Schnellsten, der Jaguar mit Lammers, Dumfries und Wallace und der Porsche mit Stuck, Bell und Ludwig, gerade zwei Minuten auseinander. Wieder einmal war aber nicht der Rennspeed auf der Strecke entscheidend, sondern die bei den Boxenstopps verbrauchte Zeit – sieben Minuten stand der Porsche aufgrund kleiner technischer Probleme länger als der Jaguar, hinzu kam die halbe Runde, die Ludwig mit dem 962C mit leerem Tank, nur per Anlasser, zur Box humpeln musste. Jaguar hatte es endlich geschafft, und zwar mit einem Renndurchschnitt, der mit 5333 km nur um 2 km den Uralt-Rekord von 1971 (Porsche 917) verfehlte – bis heute (2011) die dritthöchste Distanz nach 2010 und 1971. Der Werks-962C schaffte am Ende dieselbe Rundenzahl (394) wie der Sieger, gefolgt vom Joest 962C (mit Jelinski, Dickens und „Winter“).

Le Mans 1988: Siegerpodest

Was bei mir am Ende noch haften blieb, war die überschäumende Freude der britischen Fans und die Erfahrung, dass man sich über die beiden Renntage doch besser mal aufs Ohr legen und zudem ausreichend Flüssigkeit zuführen sollte. Das Rennen war auch über die Nacht so eng, dass ich die gesamte Zeit an der Strecke oder über den Boxen verbrachte, mit der Folge, dass ich am Sonntagnachmittag nur noch begrenzt belastbar war.

Jedenfalls musste aus diesem Grund der liebe RB unseren VW Camper nach dem Rennen zum geplanten Campingplatz in Rambouillet chauffieren. Dass der bewährte Platz aus den Vorjahren mit dem schönen Restaurant mittlerweile nicht mehr in Betrieb war und wir auf einen anderen Platz ohne jegliche Restauration ausweichen mussten, erkannte ich im Halbschlaf nur noch daran, dass es statt eines Drei-Gänge-Gourmet-Menüs nur eine aufgewärmte Konserve (Notration „Mexikanischer Feuertopf“) gab, die bereits seit Jahren in einem Hohlraum des Campers auf ihren Einsatz wartete. Bei allen noch folgenden Le Mans-Besuchen habe ich mich jedenfalls immer für eine, wenn auch kurze, Schlafpause in der Nacht oder am frühen Morgen sowie auf ausreichende Trinkmengen und eine Kappe gegen die Sonne entschieden. Am Montag, auf unserer Rückreise, waren diese Probleme aber schon wieder vergessen, es blieben die Eindrücke eines der bislang spannendsten Le Mans-Rennen, die wir gesehen haben, eines verdienten Siegers und eines ehrenvollen zweiten Platzes für den letzten Auftritt der Werks-Porsche in der Gruppe C. Die Nr. 17 war – Fahrerteam eingeschlossen – sicher der beste Gruppe C-Porsche, der jemals in Le Mans an den Start ging, und nach meiner Meinung auch der optisch attraktivste.

Die Modelle

von links: Toyota 88C (Ebbro), Porsche 962C (Starter), Nissan 88C (Ebbro)

Stand 2011: Wie schon gewohnt, wurden die Protagonisten des Rennens von den 1:43-Profis schon im selben Jahr präsentiert: Starter und Provence Moulage waren immer noch die Platzhirsche im Bereich der 1:43-Resine-Bausätze, und Vitesse-Onyx bediente die Diecast-Kunden mit preisgünstigen, aber gemessen am heutigen Standard kaum noch akzeptablen Modellen. Bei den Porsche 962 waren es z.B. eigentlich nur die alten 956-Formen mit aktualisierten Decals. Heute ist das Modellangebot durch Resincast- oder Diecast-Modelle recht gut, und die unterschiedlichen Details der verschiedenen 962 C werden natürlich von Spark, Bizarre oder Minichamps auch beachtet. Dank Ebbro kann man endlich auch die Japaner (Toyota, Nissan) als Diecast-Modelle erhalten, eine Lücke besteht vor allem noch beim Cougar Porsche.

Die folgende Modellübersicht (Stand 2011) hat nicht das komplette Feld zum Gegenstand, sondern eine Auswahl von ca. einem Dutzend wichtiger Fahrzeuge des Rennens, mit denen man sich eine schöne Bandbreite unterschiedlicher Teilnehmer zusammenstellen kann. Ob man dabei jeweils das erfolgreichste, das schnellste oder das attraktivste Modell eines Teams oder eines Fahrzeugtyps auswählt, sei jedem Sammler selbst überlassen.

Le Mans 1988: Modellübersicht (Stand 2011)

Jaguar XJR 9 (Starter)

Porsche 962C (Starter), 2. Platz

Saubr Mercedes C9 (Max Models), nach dem Training zurückgezogen

Nissan 88C (Ebbro)

Es folgen weitere Fotos, die ich beim Rennen geschossen habe. Wie bei früheren Gruppe C-Le Mans-Rennen ist auch hier die im Handel angebotene DVD sehr zu empfehlen.

Quellen:

Christian Moity, Jean-Marc Teissedre, 1988 Le Mans 24 Hours, Autotechnica & Automobile Club de l´Ouest, 1988  /  Motorsport-Journals von Juli/August 1988.

Weitere Anmerkungen zu den Fotos und zu Informationsquellen: siehe Bericht „Wie alles begann“, außerdem: siehe Rubrik „Über diese Seite“ → „Anmerkungen zu Minerva Endurance“.

Le Mans 1988: Eine Stunde vor dem Start

Jaguar XJR 9, Le Mans 1988

Le Mans 1988: Werks-Porsche 962C vor dem Rennen

Le Mans 1988: Werks-Porsche 962C Nr. 17, Boxenstop

Le Mans 1988: Werks-Porsche Nr.19, Die Andrettis beim Fahrerwechsel

Le Mans 1988: Boxensektion

Le Mans 1988: Schuppan Porsche 962C, Boxenstop früh morgens

Le Mans 1988: Joest Porsche 962C, Boxenstop früh morgens

Le Mans 1988: Parc Ferme nach dem Rennen

 

Dieser Beitrag wurde unter 6 Das Minerva-Team in Le Mans veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.